23.5.24

Die richtige Seite

 











Nach den schrecklichen Bildern aus der Ukraine und den Kämpfen in Gaza nun Umschaltung zur Hochwasserlage im Saarland und Rheinland-Pfalz. Diese Berichte dauern 4 Minuten. In meinen Gedanken noch das Leid der Opfer und Angehörigen folgt auf dem Fuße ein Bericht von der Preisverleihung für die Filmschaffenden. Schöne Bilder von glitzernden Kleidern und bezaubernden Gesichtern. Ich überlege. Wie lange hat die Verzauberung dieser Gesichter wohl gedauert? Länger als die Veranstaltung?

Ich komme zu keinem Ergebnis, weil inzwischen im neuen Thema der Abgeordnete Sch. völlig atemlos mit einem Bericht von seiner gestörten Wahlkampfveranstaltung zu Gehör kommen möchte. Er ist wirklich zu bedauern, kam er dabei doch nicht dazu, seinen Gegner der Verbreitung von Unwahrheit zu bezichtigen.

Ich schalte einen Kanal weiter. Siegmund B. erzählt gerade, wie er sich täglich über seine gesunde Ernährung freut. Aha, Werbung, seniorengerecht natürlich. Ich sollte eigentlich auch gesünder leben, schießt es mir durch den Kopf! Der Gedanke ist jedoch schnell wieder entflohen.

Auf NDR läuft eine Sendung über den Sudan. Mein schlechtes Gewissen meldet sich. Ich lebe ja auf der richtigen Seite des Zauns! Ein bisschen schäme ich mich, aber ich kann nichts dafür, dass ich weiss und nicht dunkelhäutig bin. Ein Gefühl von Ohnmacht beschleicht mich. Was kann ich aber direkt tun beim Anblick dieses Elends? Ich schalte einfach um.

Gibt es nicht immer einen Ausweg? Da, WDR, endlich eine interessante Reportage. Es geht um eine Hauptschule in Berlin. Ich bin ganz bei der Sache. Habe mir nebenbei ein Bier eingeschenkt. Ich will gerade einen Schluck nehmen, da sehe ich ein etwa 15 Jahre altes Mädchen.

»Hast Du Träume?« fragt die Stimme einer Reporterin. »Meine Träume kann niemand erfüllen!« Die Antwort kam zielgenau. »Deshalb muss die auch keiner erfahren! Vielleicht irgendwann einmal, wenn ich wieder in den Iran kommen kann?« Charakterstark, denke ich bei mir. Doch schaut sie sehr verloren in die Welt, sie wirkt dabei so zerbrechlich.

Ich schalte das Gerät aus. Ich ahne, was aus ihr wird, und sie weiss es auch. Mir schleicht eine Träne ins Auge. Das ist mir schon seit Ewigkeiten nicht mehr passiert. Warum eigentlich? Ich lebe doch auf der richtigen Seite des Zauns!

Die Illusion von vermeintlicher Sicherheit ist mir zur zweiten Haut geworden. Ich bin hier Zuschauer und Voyeur, weit weg von Opfern und Tätern. Geborgen in der anonymen Masse der betroffenen Gesellschaft. Die Realität wird mir portioniert nach Hause geliefert, in appetitlichen Dosen. Und wenn es zu viel wird, schalte ich einfach ab.

Ich höre und sehe täglich aufs Neue viele grauenvolle Dinge. Aber da muss doch irgendwo noch die Welt intakt sein? Solange »Gefragt, Gejagt« über die Bildschirme rauscht, solange »Bauer Fritz noch seine Frau sucht«, da kann doch alles nicht so schlimm sein, wie man immer tut. Oder, was denkst du?

 So ganz sicher kann ich mir aber nicht sein. Einen Trost habe ich aber gewiss: Solange ich die Fernbedienung in der Hand halten kann, habe ich die volle Kontrolle!

 

 

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