24.5.24

Ein ganz normaler Morgen

 


 

 













Die Sonne geht drüben hinter dem Wald auf, sie verziert mit einem hellen karminroten Schimmer die alten Fachwerkhäuser der Straße. Lichtgrüne Birken am Straßenrand wedeln sich im sanften morgendlichen Wind gegenseitige Grüße zu. Eine Amsel schmettert ohne Unterlass ihr morgendliches Lied in die Luft, von irgendwoher antwortet ein anderer schwarzberockter Amselmann.

        In der Fußgängerzone sind auch schon die ersten Passanten unterwegs. Die meisten von ihnen schauen dabei nicht auf die Farben des Sonnenaufgangs, hören auch nicht auf die Töne der Amsel. Sie sind wahrscheinlich zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um diese wunderbaren Einzelheiten eines Morgens aufzunehmen.

  Sicher ist dies ein Bild, schon so oft gesehen, dass es niemand mehr reizt, besonders nicht in diesen morgendlichen Stunden. Vielleicht sind sie auch noch in Gedanken bei den Träumen ihrer Nacht?

       Ein Herr im grauen Flanellanzug tritt aus einer Tür auf die Straße, schaut nach links und rechts, nimmt dann seinen hellbraunen Aktenkoffer und schreitet gemessenen Schrittes die Straße hinunter. Wer mag er sein? Ich denke mir, dass er der Besitzer eines Ladens in der Einkaufspassage dort an der Brücke des kleinen Flusses sein mag, der nun seinen Tagesablauf beginnt.

  Die Fußgängerzone der Straße füllt sich allmählich. Das Café dort an der Ecke hat seine Pforten bereits geöffnet, eine Kellnerin macht die Tische auf der kleinen Terrasse für die kommenden Gäste bereit. Die rot-weiss gewürfelten Tischdecken bilden einen angenehmen Kontrast zu dem Grau der Platten des Gehwegs. 

  Ich suche mir einen Platz an einem der Tische, die Sonnenstrahlen verbreiten ein angenehmes Gefühl auf der kleinen Terrasse vor dem Café. Die freundliche Kellnerin kommt, fragt nach meinen Wünschen und bald darauf genieße ich meinen Cappuccino. Ich fühle mich so richtig gut und zufrieden, lasse den Tag an mich herantreten; alle Problemchen sind irgendwo weit hinter mir geblieben.

   Am Nachbartisch hat eine junge, gut gekleidete, junge Frau Platz genommen. Ihr hochsommerliches Outfit lenkt ein wenig von den anderen Passanten ab. Recht verführerisch bringt sie alles zur Geltung, was sie aufzuweisen hat. Anscheinend hat sie Vergnügen daran, ihre Reize so freizügig zur Schau zu stellen. Warum auch nicht?
Auch ältere Herren, wie ich beispielsweise, sind noch nicht so weltfremd, um solche Extravaganzen nicht auch noch mit Vergnügen zu betrachten. 

  Ich schaue dann auf den gegenüberliegenden Marktplatz und sehe mit Erstaunen den Gegenpol zu diesem Mädchen am Nebentisch. Eine alte Frau, weißhaarig und ärmlich gekleidet, mit zwei Plastiktüten in der Hand, sucht in den Papierkörben der Umgebung nach leeren Flaschen. Hastig lässt sie ihre Fundstücke in den Tüten verschwinden, schaut angestrengt nach allen Seiten und setzt sich dann auf den Rand des alten Brunnens, der den Marktplatz ziert. 

  Ich fühle mich auf einmal gar nicht mehr so wohl in meiner Haut, sehe diese divergierenden Gegensätze hautnah neben mir. Warum habe ich ein Gefühl in mir, als wäre ich schuld an diesem Notstand, der so offensichtlich zutage tritt? 

Die junge Dame neben mir schaut ebenfalls zu der alten Frau dort am Brunnen. Leicht verächtlich verzieht sie die Mundwinkel, um sich dann mir zuzuwenden. »Ich finde so etwas furchtbar, das verdirbt einem ja den ganzen Morgen!«
Diese ihre Worte lassen mich bis ins Innerste meines Herzens erschauern. Ich blicke sie an, möchte etwas darauf antworten, schweige dann jedoch und reiche der Kellnerin, die inzwischen hinzugekommen ist, einen Geldschein zum Bezahlen.

  Langsamen Schrittes gehe ich, ohne mich noch einmal umzuwenden, zu diesem Brunnen am Markt. Dort sitzt sie immer noch, in Gedanken versunken, die alte Dame und schaut in den fließenden Strudel des Wassers. Aus meiner Geldbörse nehme ich einen größeren Schein, falte ihn ganz klein zusammen und lege ihn der Frau in den Schoss. Mit einer fast versagenden, heiseren Stimme flüstere ich dabei: »Mehr Flaschen habe ich leider nicht!« 

Sie sieht mich mit einem langen Blick aus ihren hellblauen Augen an und entgegnet mir, kaum verständlich: »Möge Gott sie beschützen ...«

 


23.5.24

Die richtige Seite

 











Nach den schrecklichen Bildern aus der Ukraine und den Kämpfen in Gaza nun Umschaltung zur Hochwasserlage im Saarland und Rheinland-Pfalz. Diese Berichte dauern 4 Minuten. In meinen Gedanken noch das Leid der Opfer und Angehörigen folgt auf dem Fuße ein Bericht von der Preisverleihung für die Filmschaffenden. Schöne Bilder von glitzernden Kleidern und bezaubernden Gesichtern. Ich überlege. Wie lange hat die Verzauberung dieser Gesichter wohl gedauert? Länger als die Veranstaltung?

Ich komme zu keinem Ergebnis, weil inzwischen im neuen Thema der Abgeordnete Sch. völlig atemlos mit einem Bericht von seiner gestörten Wahlkampfveranstaltung zu Gehör kommen möchte. Er ist wirklich zu bedauern, kam er dabei doch nicht dazu, seinen Gegner der Verbreitung von Unwahrheit zu bezichtigen.

Ich schalte einen Kanal weiter. Siegmund B. erzählt gerade, wie er sich täglich über seine gesunde Ernährung freut. Aha, Werbung, seniorengerecht natürlich. Ich sollte eigentlich auch gesünder leben, schießt es mir durch den Kopf! Der Gedanke ist jedoch schnell wieder entflohen.

Auf NDR läuft eine Sendung über den Sudan. Mein schlechtes Gewissen meldet sich. Ich lebe ja auf der richtigen Seite des Zauns! Ein bisschen schäme ich mich, aber ich kann nichts dafür, dass ich weiss und nicht dunkelhäutig bin. Ein Gefühl von Ohnmacht beschleicht mich. Was kann ich aber direkt tun beim Anblick dieses Elends? Ich schalte einfach um.

Gibt es nicht immer einen Ausweg? Da, WDR, endlich eine interessante Reportage. Es geht um eine Hauptschule in Berlin. Ich bin ganz bei der Sache. Habe mir nebenbei ein Bier eingeschenkt. Ich will gerade einen Schluck nehmen, da sehe ich ein etwa 15 Jahre altes Mädchen.

»Hast Du Träume?« fragt die Stimme einer Reporterin. »Meine Träume kann niemand erfüllen!« Die Antwort kam zielgenau. »Deshalb muss die auch keiner erfahren! Vielleicht irgendwann einmal, wenn ich wieder in den Iran kommen kann?« Charakterstark, denke ich bei mir. Doch schaut sie sehr verloren in die Welt, sie wirkt dabei so zerbrechlich.

Ich schalte das Gerät aus. Ich ahne, was aus ihr wird, und sie weiss es auch. Mir schleicht eine Träne ins Auge. Das ist mir schon seit Ewigkeiten nicht mehr passiert. Warum eigentlich? Ich lebe doch auf der richtigen Seite des Zauns!

Die Illusion von vermeintlicher Sicherheit ist mir zur zweiten Haut geworden. Ich bin hier Zuschauer und Voyeur, weit weg von Opfern und Tätern. Geborgen in der anonymen Masse der betroffenen Gesellschaft. Die Realität wird mir portioniert nach Hause geliefert, in appetitlichen Dosen. Und wenn es zu viel wird, schalte ich einfach ab.

Ich höre und sehe täglich aufs Neue viele grauenvolle Dinge. Aber da muss doch irgendwo noch die Welt intakt sein? Solange »Gefragt, Gejagt« über die Bildschirme rauscht, solange »Bauer Fritz noch seine Frau sucht«, da kann doch alles nicht so schlimm sein, wie man immer tut. Oder, was denkst du?

 So ganz sicher kann ich mir aber nicht sein. Einen Trost habe ich aber gewiss: Solange ich die Fernbedienung in der Hand halten kann, habe ich die volle Kontrolle!

 

 

21.5.24

Strandcafé

 

















Wartende runde Tische. 
Wer sagte neulich,
hier wäre es gut?
es raunt ganz sachte
die Jalousie im Wind.

Ein kleines Schwätzchen,
Antje, blauäugig und blond.
Theaterdonner, Weltgeschehen,
Oder das Wetter -
unverbindlich, bedeutsam!

Was sagt der Kalender?
Sturmflut, Vollmondnacht,
vertrautes Schweigen danach.
Ständig unruhige Ruhe.
Es lebt sich so dahin.

Möwen am Himmel.
Grauweißes Watt,
Schafe ernten das Grün
von schützenden Deichen.
Zeitlose Realität.

©2000 H.Lux

20.5.24

Vom Singen

 


 












Es gibt Tage, die wirklich richtig Freude machen. Als ich meinen Morgenspaziergang entlang der Wieke machte, (so heißen hier in Ostfriesland die vielen Kanäle, die der Entwässerung dienen), vernahm ich einige Töne, die immer seltener geworden sind:Vogelgezwitscher!

       Gewiss gibt es noch viele Gegenden, da die Vogelwelt noch in Ordnung scheint. Und doch, wer aufmerksam durch die Landschaft geht, vor allem ausserhalb der Städte, bemerkt im Gegensatz zu früheren Zeiten schon einen Unterschied, der nicht zu »überhören« ist. In Feld, Wiese und Garten macht es sich gewaltig bemerkbar, die Feldlerche beispielsweise ist fast nicht mehr zu hören, die in früheren Zeiten unüberhörbar die Tonlagen der Natur beherrschte, Die Anzahl der Sperlinge (Spatzen) hat sich halbiert! Niemand muss noch Ratespiele veranstalten, um zu erfahren, woher die Gründe dafür kommen.

       Aber zurück zur Thematik: Der Tag war noch recht grau, doch die Vögel tirilierten. Es ist eine Freude die unterschiedlichen Sprachen der Vögel zu unterscheiden. Wundervolle Tonfolgen erweichen das Herz! Die Amsel, die Kohlmeise, die Singdrossel, die Bachstelze, das Rotschwänzchen, der unscheinbaren Spatz?

       So früh früh am Morgen waren die Autos noch nicht wie gewohnt in den Lebensraum vorgedrungen, da tanzte das Zwitschern deutlich in der Luft, fast musikalisch anzuhören.  Zwei Stunden später jedoch gewann die Sonne mit Licht und Wärme an Stärke. Mittlerweile waren überall Autos zu sehen und hören, der Lärm hatte Einzug gehalten und übertönte nun alles in einem pastösen Geräusch, das alles wie Watte bedeckte.

       In solch einem Spektakel haben Vögel draussen zu bleiben. Sie werden sicher ihren »üblichen Geschäften« nachgehen, aber ich höre sie nicht mehr. Auch wenn ich meine Ohren anstrenge und versuche, ein Zwitschern zu isolieren, ist es fast unmöglich.

       Dann bin ich voller Traurigkeit, dass solch eine Sinfonie der Natur in der modernen Geräuschkulisse einfach untergeht …


Glanz in den Augen

  Meine Erinnerung ist oft wie ein Himmel voller Wolken, nachdem ein Sturm ihn leergefegt hat. Manchmal versuche ich angestrengt, mich an et...