1.10.23

Lebensnostalgie

 



Jedes Jahr empfinde ich etwas anderes, wenn es langsam wieder aus dem Dasein entgleitet. Diesmal überkommt mich sanft eine Art Lebensnostalgie. Als Nostalgie für das Leben? Macht das irgendeinen Sinn!? Ich weiß nicht, es scheint nicht viel Sinn zu machen, aber die Dinge, von denen wir glauben, dass sie keinen Sinn ergeben, müssen doch irgendwie einen Sinn haben, oder?

    Ich habe sogar Google zu Rate gezogen. Nostalgie nach dem Leben ist in der Tat etwas Erzwungenes, eher im Bereich der Poesie als im realen Raum, eher im Bereich der Erfindung als des Wahren. Aber die Grenze zwischen dem Realen und dem Imaginären, zwischen dem Erfundenen und dem Wahren ist, wie im geografischen Raum, eine virtuelle Linie, eine kalte Abstraktion. Grenzen gibt es eigentlich nicht.

    Dieses langsam verschwindende Jahr versprach keine großen Dinge, vielleicht bleiben kleine Dinge übrig, ich bin mir nicht sicher. Tatsächlich ist dies eines der kleinen Geheimnisse, die mein Gehirn durcheinanderbringen kann: Mit der Zeit fühle ich mich in Bezug auf die Fakten des Lebens immer weniger sicher. Es sieht so aus, als ob alles immer relativer und weniger konkret wird. Sind Kriege nicht konkret? Sind Flüchtlingszahlen relativ? Bestimmt nicht. Mag sein, dass fern vom Geschehen lebende Menschen nichts von der Banalität des Kampfes um das Überleben der Spezies »homo« wissen. Sind sie deshalb Unmenschen?

       Es scheint jedoch, dass die unaufhaltsame Verkürzung der Lebensspanne der Menschheit zu einer Verdunkelung des Tages führt. Ist es die Nähe des Todes, die die Luft, die wir atmen, in einen riesigen Styx verwandelt? Ich versuche, meinen Blick zu schärfen, starre in diesen Nebel, doch es kommt mir vor, als würde ich einen Fleck auf mich zukommen sehen. Könnte es Charon sein, der sein dunkles Schiff segelt? Ich durchsuche den Boden meiner Tasche und finde keine einzige Münze. Charon muss - bitte schön - warten!

         Das Leben, zwischen dem Erfundenen und dem Wahren ist schon, (wie im geografischen Raum,) eine nicht sichtbare, nicht fühlbare, aber vorhandene Linie! Ein Fluid, welches alles Feststehende verdeckt.

Wo sind die Grenzen des Geistes? Imaginär oder Real? Wer weiß das schon ...

30.9.23

Fernweh




Mit euch zu wandern 
über Ozean und Kontinente, 
mit euch zu reisen 
durch azurne Himmelshöh’n,
mit euch zu überwinden, 
was die Menschen immer trennte,
und niemals einsam in der Nacht 
nur zu den Sternen seh’n.

Ich grüß euch an den Ufern
fremder Meere, ich träume mich
mit euch ins ferne Land.
Wenn ich auch den Gedanken
jede Art von Flucht verwehre,
die Sehnsucht bleibt in mir,
für alle Zeit als festes Band.

~Horst Lux 1946~

29.9.23

Ein Randerlebnis

 









Ich war diesen Weg noch nicht so oft zu Fuß gegangen, heute musste es mal sein. Dieser Weg zum kleinen Bahnhof außerhalb des Ortes war schon beschwerlich, zumal es an diesem ungemütlichen Tag besser gewesen wäre, daheim in den warmen vier Wänden zu bleiben. Die Bäume der Pappelallee hielten mit ihren kahlen Zweigen noch ihren Winterschlaf, gewiss träumten sie von den wärmenden Tagen des kommenden Frühlings. Nebel stieg aus den Niederungen auf und wickelte die Felder und Wiesen in ein graues Tuch mit filigranen Fransen ein. Die kalte Luft schlich leise durch die hohen trockenen Gräser.

       Es war still. Eine vollkommene Ruhe hatte sich über das Land gelegt. Die Vögel des Sommers waren noch nicht eingetroffen, sie würden aber bald die Weiten der Landschaft beleben. Es war schon eine Aufbruchsstimmung, die in der Luft lag. Die Leichtigkeit des Frühlings ahnte man bereits.

       Einen Steinwurf vor mir ging ein alter Mann den gleichen Weg wie ich. Seine Schritte waren langsam und schwerfällig. Die linke Hand steckte tief in seiner Jackentasche. Die rechte schlenkerte herum, griff ab und zu ins Leere oder gestikulierte. Es hatte den Anschein, als diskutiere er mit einer unsichtbaren Person. Immer dann nämlich, wenn seine Hand nach rechts griff, wendete er ebenfalls seinen Kopf in die gleiche Richtung. Dann wirkten auch seine Schritte irgendwie beschwingter, leichter.

       Eine geraume Zeit ging ich bereits hinter diesem Mann her. Meine Schritte passte ich dabei seinem Tempo an, nicht lange darauf waren wir auch schon an dem kleinen Bahnhof angelangt. Einige Personen warteten bereits auf den Triebwagen, der in Kürze eintreffen musste.

       Dieser Bahnhof hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Früher war er ein beliebter Treffpunkt der Menschen des kleinen Ortes. Hier hielten zeitweise sogar Schnellzüge, die die Fahrgäste in die Großstadt beförderten. Heute wirkte er mit seiner morbiden Gründerzeitfassade nicht nur verfallen, er war es auch. Der Putz hatte sich an vielen Stellen von der Wand gelöst und lag in hässlichen kleinen Häufchen an den Rändern des Gebäudes. Es war, als hätte sich das Leben hier endgültig von der Zeit verabschiedet. Schon seit langer Zeit benutzte diesen Bahnhof nur noch die Regionalbahn als Haltepunkt.

       Über der Betrachtung des Bahnsteigs war ich unbeabsichtigt an dem alten Mann vorübergegangen und stand nun einige Meter neben ihm. Sein ganzes Leben konnte man ihm vom Gesicht ablesen. Sein Blick erschien trüb, dunkle Ringe umrahmten die Augen. Wie eingekerbt zogen sich tiefe Falten durch sein Gesicht. Beim Näherkommen wirkten seine Augen weniger müde. Es erschien mir geradezu spitzbübisch, wenn er zur Seite schaute und immer wieder nach rechts blickte. Leise und beschwichtigend flüsterte er auf eine imaginäre Person nein.

       Als er mich wahrnahm, fühlte er sich wohl ertappt, nickte mir freundlich zu und sagte leise mit einem Lächeln in den Augen: »Wissen Sie, sie fährt gleich zu ihrer Mutter!« 
Auf meinen erstaunten Blick hin bemerkte er dann noch: »Wir waren doch seit 60 Jahren noch nie getrennt. Sie ist da etwas unbeholfen. Aber ich bin ja da! « 

       Dabei zwinkerte er mir lächelnd zu, ich konnte darauf nur innerlich erschrocken nicken. Dann schaute er mit beruhigendem Blick ins Leere neben sich. Dabei streichelte seine rechte Hand zärtlich in die Luft. Wir standen ein paar Armlängen voneinander entfernt. Ich konnte ihn zwar flüstern hören, seine Worte aber nicht verstehen.

       Der graue Nebel schwebte wie ein Schleiervorhang über Bahnhof und Gleise, verschluckte die Geräusche fast bis zur Unkenntlichkeit. Ich gehe sogar so weit zu sagen, er legte sich auch auf mein Gemüt. Ich wurde sehr nachdenklich beim Anblick des alten Mannes.

       Der kurze grüne Regionalzug schlich endlich aus dem Nebelvorhang heraus. Ich stieg ein, sah den Alten noch auf dem Bahnsteig stehen und in ein Abteilfenster hineinschauen. Sein Gesicht in dem dämmerigen Licht schien erschreckend grau. An seinen Wangen liefen Tränen herunter. Dann hob er langsam seinen rechten Arm und begann zu winken. Sein Blick schaute dabei ins Leere - in die Unendlichkeit.

       Auf dem Sitz vor mir saßen zwei junge Mitreisende, die ebenfalls gerade eingestiegen waren. Ich bemerkte, wie sie amüsiert ihre Köpfe schüttelten: »Nu guck doch mal, der verrückte Alte! Der steht jeden Sonnabend um diese Zeit da und winkt. Dabei ist seine Frau doch schon zwei Jahre unter der Erde!«

Der Triebwagen fuhr wieder an, ich sah den Alten noch winkend auf dem Bahnsteig stehen. Ich schämte mich heimlich für die Worte, die ich gehört hatte: Der verrückte Alte!

27.9.23

Ist es zu schwer?

 



 

Warum ist es für uns so schwer zu verstehen, dass es Dinge gibt, die wir nicht ändern können, versteckt unter den Dingen, die wir ändern können? Wir können unsere Herzen neu ordnen, wir können die Ecken unseres Geistes entstauben, wir können unseren Augen beibringen, das zu sehen, was wir sehen sollten und müssen.

Doch sobald wir unsere Wände geschmückt und unsere Sorgen vom Boden gefegt haben, schauen wir auf die anderen, um zu sehen, wie sie es halten und damit leben. Jedes Haus ist anders eingerichtet. Diese Logik kann man nicht übersehen. Müssen wir unbedingt zeigen, dass wir eventuell mehr sein könnten oder uns möglicherweise besser fühlen?

Hier verläuft die Grenze zwischen dem, was wir können, und dem, was wir nicht sollten. Das ist ein schwieriger Punkt, an dem wir alle lernen müssen, dass wir im Grunde schon alles mitbringen, was wir können. Es muss nur geweckt werden. Wir können uns das Haus, in das unsere Seele hineingeboren wird, nicht aussuchen.

Aber wir können die Zimmer unserer Seele umgestalten, indem wir lernen, auch aus den Fenstern nach draußen zu schauen, alles lieben zu können, was wir sehen, und so unsere Seele von all den schlechten Gedanken zu befreien, die sie belastet.

 

26.9.23

Easy Shopper ?

 



Muss ich die haben?

Gut, in vielen Städten sind sie schon länger in Gebrauch - jetzt kann man auch bei uns auf dem Lande mit digitalen Einkaufswagen durch den Supermarkt schleichen. Viele finden den Easy Shopper gut, ich nicht. Aber wem nützt er tatsächlich?

Die Kundschaft scannt die Ware selbst direkt am Wagen ein, an der Kasse wird nur noch der Endbetrag abgerechnet. Keine Kassiererin muss mehr irgendwas übers Band ziehen. Der Vorteil soll für beide Seiten darin bestehen, dass es schneller geht. Außerdem haben die Verkäuferinnen weniger Arbeit. Sie fassen die Ware gar nicht mehr an, sondern rechnen nur noch ab. In Zeiten von Personalnot ist das auch für die Supermarktbetreiber von Vorteil.

Das neue Angebot scheint für alle Beteiligten nur Vorzüge zu bieten. Aber nimmt es auch alle Menschen mit? Mich jedenfalls nicht. Ich will nicht, obwohl ich könnte. Ich bin hier zu Hause und kaufe hier auch ein. Und ich habe einfach keine Lust auf diese Easy Shopper. Zeitvorteil hin oder her – ich finde es völlig unproblematisch, Sachen, die ich haben möchte, erst in den Einkaufswagen und anschließend aufs Kassenband zu legen. So eilig habe ich es nie, dass ich nicht abwarten könnte, bis die nette Kraft an der Kasse meine Lebensmittel über ihren Scanner gezogen und mir die Endsumme genannt hat. Bei einigen Discountern arbeiten die Kassiererinnen so flott, dass die Kundschaft mit dem Eintüten und Bezahlen gar nicht hinterherkommt.

Bleibt der Vorteil, effizient zu arbeiten mit weniger Personal. Für Supermarktbetreiber mag das erstrebenswert sein, die müssen schließlich sehen, wie sie ihren Laden am Laufen halten. Aber warum sollte ich als Kunde das wollen? Wohin ich blicke, erlebe ich schon jetzt, wie negativ sich Personalnot auf den Service auswirkt. Die Postagentur macht erst um 9 Uhr auf, dann die Mittagspause und um 18 Uhr schließt man wieder. Es sind Zeiten, an die ich mich dunkel aus meinen Jugendjahren Ende erinnere. Jetzt sind sie wieder aktuell.

Warum sollte ich als Kunde aktiv dazu beitragen, Supermarktbetreibern Arbeit abzunehmen? Das scheint mir mittelfristig zu Personalabbau zu führen und nicht zu besserem Lohnniveau für Arbeitskräfte im Einzelhandel! Von der Frage des Datenschutzes mal ganz abgesehen, schließlich funktioniert all das smarte Shopping nur über Apps, die genau registrieren, was ich kaufe. Ich will aber kein gläserner Kunde werden.

Ich kenne allerdings auch Leute, die den digitalen Einkaufswagen ganz anders sehen und sich freuen, ihn endlich nutzen zu können. Das Schöne am Ganzen ist, dass wir alle nebeneinander im selben Supermarkt unsere Besorgungen erledigen können und die freie Wahl haben, wie wir das machen.
Zumindest jetzt noch. 😣

 

25.9.23

So fing es mal an - ein Blick zurück!

Ein Blick auf 1949
 

Seit der Währungsreform ging es nun langsam wieder aufwärts im Land. Das Wirtschaftswunder nahm bei uns im Westdeutschland dank des Marshall-Plans langsam Fahrt auf. Die Freunde aus den fernen USA ließen uns doch nicht im Stich! Also, wer das gedacht hatte, lag nun eben falsch; der alles verheerende Weltkrieg II. war doch erst drei Jahre vorbei und der Morgenthau-Plan, mit dem man Deutschland zum reinen Agrarland machen wollte, wurde rechtzeitig vorher vom Tisch gewischt! Man brauchte »the Germans« plötzlich wieder als Bollwerk gegen den »roten Osten«!

Das Seltsame dabei schien mir zu sein, dass es dabei einem Teil der »Siegermächte« viel schlechter erging als uns hier im zertrümmerten Nachkriegsdeutschland.

 Nur bei uns im entlegenen Ostfriesland ließ noch alles etwas länger auf sich warten. Das zuständige Arbeitsamt aber wusste für mich Rat, natürlich - sie saßen ja an der Quelle. Von dort kam dann auch ein Angebot: Ein Schiffer in Haren an der Ems suchte einen Schiffsjungen für die Binnen-Schifffahrt! Na super, was sich daraus alles machen ließ.

Ich stellte mich vor und eins-zwei-drei hatte ich einen Job - aber leider keine Lehrstelle. Wer aber fragte danach? Das war es dann auch schon. Ich besaß leider nichts. Mit einem Anfangslohn von zwanzig neuen Deutschen Mark monatlich konnte ich auch keine großen Sprünge machen.

 Die ersten sechs Monatslöhne gingen schon für den Erwerb von Berufskleidung drauf, die der Schiffer mir »äußerst großzügig vorfinanzierte«. Nun war ich also Schiffsjunge auf einem Schleppkahn in der Binnenschifffahrt. Super, ohne Zweifel ein Fortschritt. Klar, ich lernte nun das zerschlagene Westdeutschland auf allen Kanälen und auf dem Rhein kennen. Anderseits war es auch eine höllisch harte Arbeit. Zwölf Stunden stets mit allen Sinnen und Muskeln auf dem Posten sein, nebenbei noch Smutje spielen - das war für einen Vierzehnjährigen gar nicht so einfach.

 In den ersten Jahren nach dem Krieg stand die Schleppschifffahrt auf Flüssen und Kanälen ja auch noch in voller Blüte, aber schon kamen die moderneren selbstfahrenden Motorschiffe hinzu. Mein Metier allerdings war noch die alte Binnenschifffahrt, ich lernte noch das alte Muster, das in dieser fortschrittlichen Welt keine Zukunft mehr hatte.

Das war nun bei mir im Jahr 1948 der Berufsanfang dar. Vielleicht hätte ich mir mehr Mühe geben sollen, aber spätestens nach einem halben Jahr hatte ich von diesem »Anfang« die Nase gestrichen voll. Klar, natürlich kannte ich den alten Satz: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Doch in dieser Schifferfamilie hätte ich es nicht noch zweieinhalb Jahre ausgehalten.

 Die ausgesprochen strenge katholische Lebensart dieser Menschen brachten mich oft zur Weißglut. Wenn die Tischgebete vor- und nachher beispielsweise länger dauerten als die gesamte Mahlzeit dazwischen, trug dies nicht unbedingt dazu bei, meine Ansichten zu ändern. Dazu kam noch die Intoleranz mir gegenüber als Flüchtling - und zu allem Übel hatte ich dann noch die falsche Konfession! Ich war evangelisch, wie peinlich für den Arbeitgeber! Ja - und überdies die Krone noch obenauf zu setzen: Ich kam noch aus Ostfriesland, die Heimat der Schifferfamilie aber war das Emsland! Heute gibt es diese Animosität der einzelnen Landesteile kaum noch, aber seinerzeit – es war zum Heulen!

 Der Käpt’n und ich fanden einfach keine gemeinsame Basis mehr. Auch wenn man mich ständig bekniete, zum Katholizismus zu konvertieren, das war für mich nie eine Lösung! (Ich hatte oft das Gefühl, man hätte eine Prämie auf meinen Kopf ausgesetzt.) Einzig allein die Tatsache, dass ich das norddeutsche Land im Handumdrehen kennenlernte, sah ich als Positivum an. Mein Gefühl war »deutsch«, warum ist mir auch heute noch nicht klar!

 Ich erinnere mich auch noch gut, dass ich zu Beginn meiner ›Karriere‹ eine »vorgeschriebene deutsche Flagge« auf ein Schild aus Blech malen musste. Das war in der Zeit in Ermangelung einer noch fehlenden echten deutschen Flagge die ›Cäsar‹-Flagge aus dem Repertoire der Signalflaggen: Blau-Weiß-Rot-Weiß-Blau!

 Ja, irgendwann danach geschah etwas, das mir das Nachdenken über mein Leben erst einmal völlig aus der Hand nahm. Bei einer Fahrt zu einer Reparatur in einer Papenburger Werft blieb ich mit einem Beinchen in einem aufgerollten Drahtseil hängen. Dieser Fehltritt war dieser Seilschlinge keinesfalls recht. Sie sträubte sich gegen den Fußtritt und warf mich kurzerhand einfach über Bord! Pech für mich.
Mir war nur nicht klar, weshalb ich nun den Papenburger Hafen aus einer völlig anderen Perspektive kennenlernen musste. Das Wasser war im Februar noch gar nicht gut temperiert, freundlicherweise zog man mich sehr schnell wieder aus diesem öltriefenden Nass des Hafenbeckens aufs Trockene. Es wurde meines Erachtens aber auch höchste Zeit, denn ich gehörte zu dem Teil der Bevölkerung, der nicht schwimmen konnte! But - what kind of sailor can swim?

 Na gut, »Seemann« konnte man mich nicht nennen, aber doch immerhin, nicht wahr, etwas Respekt stand mir denn doch wohl zu, oder? Nach eingehender Besichtigung all meiner edlen Körperteile konnte nunmehr jeder sehen, dass ich tiefe Eindrücke des Papenburger Hafens mit an Land gebracht hatte. Zu den schmerzhaften dunkelblauen Seilabdrücken am rechten Bein kam schließlich noch einiges mehr hinzu.

 Eiswasser mag nun gut für einen Drink sein, zugegeben, aber für menschliche Knuddel-Bedürfnisse nicht so ganz geeignet. Mein noch kindlicher Körper bedankte sich bei mir mit einer saftigen Erkältung, diese durfte ich auch bei meiner Mutter zu Hause auskurieren. Für kranke Mitarbeiter schien nun mal kein Platz im großen Haus des Käpt’n zu sein. Ich durfte nun gern heiß-fiebrig angehaucht mit dem Zug nach Hause fahren. Doch, wirklich, ich fand das - seinerzeit - doch sehr human! Sonst hätte ich möglicherweise wie geplant an Bord auf der Werft bleiben müssen.

 So weit, so gut, - oder so schlecht - da war nun also erst einmal Pause in meinem gerade begonnenen Arbeitsleben angesagt. Solch ein Unfall hat eben auch manches Mal zwei Seiten! So auch bei mir. Wegen starker Schmerzen in meiner Lunge konsultierten wir das Kreiskrankenhaus in Leer. Die lieben Ärzte dort waren nach ihrer Diagnose gar nicht zufrieden mit mir. Sie erzählten mir langatmig, dass ich sehr krank wäre, was wiederum über mein Verständnis weit hinausging. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich darüber traurig war!

 War ich danach traurig? Ich würde das heute nicht mehr so einfach bejahen! Es schien eher, als hätte ich meinen »armen Käpt’n« gern auf seinen Moses warten lassen. Damit war meine Pechsträhne aber noch nicht abgerissen. Ich hatte eine trockene Pleuritis, also eine Rippenfellentzündung davongetragen!

 Das war nun leider eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit, da jeder Atemzug mir üble Schmerzen bereitete. In den nächsten Monaten im Krankenhaus in Leer hatte ich ausreichend Zeit, mich daran zu gewöhnen.

 (©by H.C.G.Lux)

 

21.9.23

Und wieder kommt der Herbst

 



Wir warten darauf, dass die Blätter von den Bäumen geweht werden. Dass der Maler, der diese Farbenexplosion verursacht, endlich sein Werk vollendet, damit wir es bewundern können.  Woher kommt dieses fühlbare Empfinden? Ist es eine von alters herstammende Septemberwahrnehmung? Der Sommer ist fast vorüber, die Ferienzeit vorbei. Die Verpflichtungen nehmen wieder zu. Es liegt eine Stimmung in der Luft, die fast messbar ist; es scheint eine Sehnsucht nach Vollkommenheit zu sein, die alle Fasern des Körpers erfasst.

      Ein weiterer Herbst, der neunundachtzigste in meinem Leben! Eine weitere umgeschlagene Seite im Tagebuch des Daseins. Irgendwie liegt etwas von einem Neubeginn in diesem neuen Herbstanfang. Wurden etwa die Fehler des letzten Jahres von der neuen Jahreszeit einfach weggewischt? Oder gab es eventuell gar keine, war es die Normalität der menschlichen Existenz?

    Aber es scheint nur so. Wir alle sind dazu verurteilt, ständig Fehler zu produzieren. Ein Einspruch, eine Revision dagegen ist nicht vorgesehen. Ich werde alles so annehmen, wie es mir vorgegeben wird, wie ich es stets tat, seit den Tagen, da ich diese Welt betreten habe.

        Bunte Blätter zeigen mir die Endlichkeit des Lebens. Eine wunderschöne Pracht, die dennoch zum Vergehen geboren wird, wie jedes Geschöpf, jedes Gewächs im Garten. Wir pflanzen und pflegen es ungeachtet dessen, dass wir des Vergehens bewusst sind; dass wir den Vorgang zwar manches Mal zu beeinflussen suchen - es gelingt jedoch niemals!

        Herbst, wie immer wir es auch nennen, es bleibt die Jahreszeit der Vollendung! Alles, was im Frühling spross, im Sommer blühte, eilt nun mit aller Verschwendung der farbigen Gestaltung, die uns die Natur schenkt, seinem Zenit entgegen. Ein neues Zeitalter wird nach der Ruhepause der winterlichen Zeit wiederum die Herrschaft antreten. Ob mit oder ohne uns, das sei dahingestellt …

20.9.23

Ein Mann der klaren Worte

 



 

Es ist mir ein Bedürfnis, über einen Menschen zu sprechen, der die Welt mit seinem Geist bereichert hat. Diese Welt, der Marcel Reich-Ranitzki sich stets verpflichtet gefühlt hat, ist heute leider im Begriff, allmählich zu verschwinden. Man mag es bedauern, aber es ist nun mal das Schicksal aller Zeitläufe, dass sie sich verändern bzw. ganz den Bereich verlassen, den sie einmal ausfüllten.

       Reich-Ranitzki war jahrzehntelang der mit Abstand bekannteste deutsche Literaturkritiker. Es hing dabei sehr viel vom Fernsehen ab, das ihm die Möglichkeit bot, sein »Literarisches Quartett« in unvergleichlicher Form durch seine Diskussionen um Bücher in Szene zu setzen. Er verstand es, durch seine deklamatorische Art, in der er seine Ansichten vortrug, das Fernsehen als Bühne zu benutzen und damit gleichzeitig auch eine Rolle zu spielen. Im Grunde genommen kannte ihn jedermann in Deutschland. Es war oftmals so, dass sie an seinem Missvergnügen noch Spaß hatten und dann daraus seine Gefühlsausbrüche begeistert unterstützten. Und die waren zumeist auch noch Verstandesausbrüche!

       Es sind nun zehn Jahre her seit dem 18.September 2013, dem Todestag von Marcel Reich-Ranitzki. Er wurde 1920 in Wloclawek in Polen geboren. Er starb im Alter von 93 Jahren.

       Nach dem zweiten Weltkrieg schien ja eine Zeit lang viel von den Künsten, der Musik und der Literatur abzuhängen. Stellungnahmen der Künstler waren gleichzeitig auch Aussagen über das Ganze der Einheit und Gesellschaft dieser Zeit. Das ist heute nicht mehr so.

       Mit Martin Walser, Günter Grass, Peter Rühmkorf und Hans-Magnus Enzenberger sind in den vergangenen Jahrzehnten die letzten zeitgenössischen Autoren von uns gegangen, die für Reich-Ranitzki von besonderer Bedeutung waren. Die Nachkriegsgeneration tritt ab. Nicht auf einmal, nein. Max Frisch, Uwe Johnson, Friedrich Dürrenmatt und Ingeborg Bachmann gingen schon früher den letzten Weg.

       Die Eckpfeiler dieser Generation waren die Namen der Weimarer Republik, an denen Reich-Ranitzki sich schulte. Mit Namen wie Thomas Mann, Franz Kafka und Bertold Brecht wurde er groß. Sie waren in seiner Ansicht die Eckpfeiler der öffentlich-moralischen Wirksamkeit der Schriftsteller mit ihren Romanen und der Lyrik. Wo sie nicht mehr selbst auftreten konnten, machte Reich-Ranitzki ihre Werke zu großen Auftritten.

       Seinen Autoren rechnete Reich-Ranitzki es hoch an, wenn »sie es vorziehen, verstanden als angestaunt zu werden«, wie er meinte. Was bleibt von ihm? Hoffentlich mehr als sein Name als unterhaltsamer Geist im Fernsehen, so vergnüglich er manchmal war. Er war ein Mann, dessen Urteile nicht aus der Luft gegriffen waren. Sein Arbeiten mit Lesen und Schreiben brachte ihm eine immense Kenntnis der Literatur ein. Er wollte schließlich der Literatur zurückgeben, was er ihr verdankte.

Und das ist ihm mit Gewissheit gelungen.

 

19.9.23

Einkaufstour

 



Bei uns auf dem Land ist das Leben angeblich einfacher als in der Stadt. Meint man. Doch wer das denkt, kennt unser Landleben nicht. Ein Leben zwischen Laptop, Güllegeruch und Stau auf der Bundesstraße. Es ist schrecklich schön, auch davon einmal zu erzählen. 
Vieles wird einfacher, dachte man, als die Gören noch klein waren. Als sie dann langsam größer wurden, relativierte sich so manches. Einiges wurde viel komplizierter. Dazu gehört auch das Einkaufen, beispielsweise von Kleidung. Für Eltern ist das oft frustrierend, jeder kennt das wahrscheinlich auch. Besonders dann, wenn wie nebenan bei Familie Haakens zwei heranwachsende Gestalten eingekleidet werden sollen. Magdalena, meine Nachbarin, bat mich, sie doch mit ihren beiden Lieblingen zum Kaufhaus zu fahren, der Papa hatte leider keine Zeit. Da ich ein guter Nachbar bin, tue ich ihr auch gern den Gefallen.

        Der Sohnemann, knapp 13, verhält sich im Laden so, wie es vielleicht war, als seine Mutter ihn morgens noch anziehen musste, willenlos wie sich ein Wurstbrot schmieren lässt, lässt er sich Pullover und Hemd überstreifen. Teilnahmslos steht er dann in der Abteilung »Größe 176«, während die Mama sich nach passenden Hosen umsieht, ihn schließlich mit einigen Beinkleidern ihn die Kabine schickt. Er kommt wieder hervor - die Hose, die er probiert, passt wie ein Handschuh als Unterhose. Am Oberschenkel sitzt das Ding viel zu stramm, während der Hintern irgendwo in den Kniekehlen hängt. »Passt doch«, meint der Erbprinz leidenschaftslos wie ein Kater, der soeben seine edelsten Teile verloren hat. Mit Mühe überreden wir zwei Erwachsenen ihn zu einer Alternative! 
»Sind wir jetzt fertig?« Na ja, ich beglückwünsche Magdalena, dass sie es geschafft hatte, dieses Kapitel doch noch zu beenden.

        Bei dem Töchterchen jedoch liegt die Problematik dann etwas anders! Da hakt es dann eher an zu viel Modebewusstsein als an zu wenig! Heute geht es konkret um ein Paar Schuhe, für den Winter. Bis wir gemeinsam zu der Schuhabteilung vordringen, werden erst einmal ausgiebig Handtaschen und Gürtel nach allen Richtungen betrachtet. Die sind sicher hübsch, aber eben nicht so notwendig wie Schuhe, meint Magdalena. Und außerdem würde die Parkuhr bald ablaufen, - auch ein Argument!

    »Was suchst du denn nun spezielles?« Frage ich Magdas Tochter. »Na Schuhe!« Kurze knappe Antworten sind immer angebracht, denke ich bei mir. Aber nicht mit solch einem gelangweilten Blick wie Kerzenlicht hinter heruntergelassenen Jalousien. So viel Ignoranz halte ich nicht mehr aus, mein Nachwuchs ist Gottlob aus dieser Phase heraus. Ich muss erst mal draußen eine Zigarette rauchen. Als ich wieder in den Laden zurückkomme, hat Mama der kleinen Großen ein Paar Schuhe ausgesucht, die ihr geeignet erscheinen.

        Die aber kommen auf keinen Fall infrage! Sie hat sich für weiße Markenturnschuhe entschieden, mit aufgeschäumter Sohle. Nun, weiße Schuhe in der matschigen Winterzeit sind nicht unbedingt die große Nummer, denke ich. Aber die Fünfzehnjährige hat sich entschieden - da hat eine Widerrede so wenig Sinn wie ein Maikäfer im Weihnachtsbaum.
        Aber Weiß ist jedenfalls nicht auf der Tagesordnung! Letztlich hat die Mama dann doch entschieden! So verlassen wir also gemeinsam den Laden ohne neue Schuhe aber mit einem trotzigen Teenager. Und gleichzeitig haben wir eine neue Erkenntnis gewonnen, dass Mode und Erziehung nicht unbedingt ein Paar sind!

        Aber ich versichere euch, die ihr dies gelesen habt, dass ein Update dieser Einkaufstour gewiss folgen wird. Diese Neuauflage droht der renitenten jungen Dame schon am nächsten Tag: barfuß wird das Mädchen sicher nicht durch den Winter marschieren! Dafür wird Magdalena schon sorgen 

18.9.23

Kein guter Bericht

 


 

Es bedeutet Schrecken, solch einen Bericht zu lesen.
Manche Leser sollten es vielleicht nicht tun.

 


 

 

 

Dies ist ein Tagebuch-Auszug

des SS-Obersturmbannführers

Rudolf Höß

 

Er war von Mai 1940 bis Nov.1943
Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz.
Er wurde als Kriegsverbrecher 1947 zum Tode durch
den Strang verurteilt und in Oświęcim, Polendem Ort des
ehemaligen Stammlagers hingerichtet. 

 

 

 

 

/... Gelegentlich einer Dienstreise hatte mein Vertreter, der Hauptsturmführer Fritzsch, aus eigener Initiative Gas zur Vernichtung dieser russischen Kriegsgefangenen verwendet, und zwar derart, dass er die einzelnen, im Keller gelegenen Zellen mit den Russen vollstopfte und unter Verwendung von Gasmasken Cyclon B in die Zellen warf und das den sofortigen Tod herbeiführte. Das Gas Cyclon B wurde in Auschwitz durch die Firma Tesch & Stabenow laufend zur Ungezieferbekämpfung verwendet, und es lagerte daher immer ein Vorrat dieser Gasbüchsen bei der Verwaltung. In der ersten Zeit wurde dieses Giftgas, ein Blausäurepräparat, nur durch Angestellte der Firma Tesch & Stabenow unter größten Vorsichtsmaßnahmen angewandt, später wurden einige SDG [Sanitätsdienstgrade] als Desinfektoren bei der Firma ausgebildet, und es haben dann diese die Gasvernichtung bei der Entseuchung und Ungezieferbekämpfung durchgeführt. Beim nächsten Besuch Eichmanns berichtete ich ihm über die Verwendung von Cyclon B, und wir entschlossen uns, bei der zukünftigen Massenvernichtung dieses Gas zur Anwendung zu bringen [...]

  An der Bahnrampe wurden die Juden von einer Bereitschaft des Lagers von der Stapo übernommen und in zwei Abteilungen durch den Schutzhaftlagerführer nach dem Bunker, wie die Vernichtungszentrale bezeichnet wurde, gebracht. Das Gepäck blieb an der Rampe und wurde dann nach der Sortierstelle – Kanada genannt – zwischen DAW [Deutsche Ausrüstungswerke] und dem Bauhof gebracht. Die Juden mussten sich bei dem Bunker ausziehen, es wurde ihnen gesagt, dass sie zur Entlausung in die auch so bezeichneten Räume gehen müssten.

       Alle Räume, es handelte sich um fünf, wurden gleichzeitig gefüllt, die gasdicht gemachten Türen zugeschraubt und der Inhalt der Gasbüchsen durch besondere Luken in die Räume geschüttet. Nach Verlauf einer halben Stunde wurden die Türen wieder geöffnet, (in jedem Raum waren 2 Türen), die Toten herausgezogen und auf kleinen Feldbahnwagen auf einem Feldbahngleis nach den Gruben gefahren. Die Kleidungsstücke wurden mit Lastwagen nach der Sortierstelle gebracht.

       Die ganze Arbeit, Hilfestellung beim Ausziehen, Füllen des Bunkers, Räumung des Bunkers, Beseitigung der Leichen sowie das Ausschachten und Zuschütten der Massengräber wurde durch ein besonderes Kommando von Juden durchgeführt, die gesondert untergebracht waren und laut Anordnung Eichmanns nach jeder größeren Aktion ebenfalls vernichtet werden sollten.

       Während der ersten Transporte schon brachte Eichmann einen Befehl des RFSS (Reichsführer SS,) wonach den Leichen die Goldzähne auszuziehen und bei den Frauen die Haare abzuschneiden seien. Diese Arbeit wurde ebenfalls von dem Sonderkommando durchgeführt …/

 

[Dokumente: Das Dritte Reich, S. 8710 Digitale Bibliothek]

 

 

 

 


17.9.23

Warum eigentlich nicht?


 


 

Sollte man Lebkuchen schon im September kaufen, wenn sie schon auf den Ladentischen liegen? Ist das ein Problem? An der Supermarktkasse bietet sich damit gleich ein Anlass für eine Diskussion.
Also gestern an der Kasse: Mit einer fast andächtigen Handbewegung lege ich eine Packung Lebkuchen auf das Band. Bei einigen Kunden vor mir nehme ich einen Hauch von Kopfschütteln wahr.

     »Die essen Sie doch nicht wirklich jetzt schon, oder?«, fragt plötzlich ein rüstiger Rentner hinter mir. »Ja selbstverständlich, was glauben Sie denn«, sage ich und zucke mit den Schultern.

       Ja wirklich, was glaubt er denn? Selbstverständlich werde ich sie essen! Ich weiß, dass sie im Spätsommer doch am besten schmecken, sie sind dann frisch aus der Herstellung und noch lange haltbar, dazu solch ein Aroma, das diese Lebkuchen im Dezember längst nicht mehr haben werden.

       Nun frage ich mich gleichzeitig, was dieser Mann hinter mir glaubt. Dies war schließlich seine Frage. Was glaubt er denn? Ist es ein religiöses Statement, wenn man Lebkuchen erst im Dezember isst? Oder ist es Teil eines spirituellen Weges? Ist es gar eine Art Blasphemie, wenn man sie schon im September kauft, bereits auf dem Parkplatz die Verpackung öffnet und einen im Gehen verspeist?

Ja, was glauben wir denn? Ich las einmal von einer Aktion der Kirchen, die »Advent ist im September«“ hieß. Sie sollte uns Menschen wohl daran erinnern, dass wir die Feste feiern sollen, wie sie fallen! Ich dachte dann schon darüber nach, vor dem Advent keine Lebkuchen zu kaufen. Doch ich kaufte dann doch welche. Als ich die Lebkuchen auspackte, war ich schon mitten im Thema. Woran glaubte ich? Für mich hat mein Glaube etwas Befreiendes. Er gibt meinem Leben Halt und einen Rahmen. Belehrungen darüber, wann ich Lebkuchen kaufen darf und wann nicht, finde ich ein bisschen komisch und beschränkt.

       Ich wünsche mir eher das Gespräch mit meinen Mitmenschen über Sinn und Unsinn, Hoffnung und Angst, Mut und Ohnmacht. Und ich glaube an Gott. Das jedenfalls kann jeder halten, wie er es möchte. Mein Gott aber lässt sich gewiss nicht in Kampagnen verkaufen, auch nicht mit Glitzerpapier in Lebkuchen-Papier hübsch verpacken und in einer gewissen Zeitspanne verbrauchen. Aber er ist ein Menschenfreund voller Geheimnisse. 

Nebenbei: Ist Euch bekannt, dass die alten Ägypter den Lebkuchen erfunden haben? Und das schon im Jahr 350 vor Christus!

 

16.9.23

Es war ein Dienstag ...

 



Dieser Morgen war richtig bescheuert. Yes, Sir. Rutsche im Bad aus, prelle mir den Steiß. Verbrenne mir am Frühstückstisch mit heißem Kaffee die Lippen. Trete auf dem Gehweg in eine »Mine«. Ich muss daraufhin die Schuhe wechseln Also zurück. Drei Treppen hinauf. Gut, dass ich zurückkam. Hatte vergessen, die Tür abzuschließen.

Wiederum drei Treppen runter. Die alte Frau Müller aus dem Zweiten fragt, ob ich ihren Müll mitnehmen kann. Bin ein ja ein Gutmensch. Weiter zur Müllbox. Na fein, alles überfüllt. Aber davor ist ja noch Platz. Widerstrebt mir zwar, aber es muss sein.

Garagentor geht nicht auf. Batterie des Öffners scheint leer zu sein. Also wieder drei Treppen, um den anderen manuellen Schlüssel zu holen. Wo zum Teufel ist das Ding? Sieben Schubladen durchwühlen.

Heureka - ich hab ihn! Wieder runter. Drei Treppen, na klar. Garage ist endlich offen. Erschöpft sinke ich hinter das Lenkrad. Geschafft. Denkste. Der Tiger springt nicht an. Streikt. Ich auch, ab jetzt. Aber nach -zig Versuchen läuft der Motor. Im Schneckentempo geht es vorwärts. Schnecke mit Haus, klar. Schülerinnen aus dem Nachbarhaus zu Fuß unterwegs. Überholte sie vor 'ner Viertelstunde. Jetzt überholen sie mich. Mein Vorteil: Ich sitze, sie laufen.

Verkehrschaos in der Innenstadt. Ampeln alle auf "Null" geschaltet? Ein Versuch, ohne Elektrizität zu leben? Ich nehme das zur Kenntnis, mehr aber auch nicht. Bin ich eine Versuchsmaus? Endlich, Firma in Sicht. 

Was ist da los? Wo kommen die ganzen Blaulichter da vorn her? Polizei. Krankenwagen. Feuerwehr. Straße gesperrt. Wie komme ich jetzt zur Arbeit? Frage einen Blauuniformierten. Antwort befriedigt mich leider nicht.

Das Bürohaus brennt! Da war mein Arbeitsplatz. Es ist traurig, katastrophal. Aber ich lache, lauthals! Alle Umstehenden schauen mich entsetzt an. Warum eigentlich? Habe ich einen Schock erlitten?

Ich sehe auf meine Uhr. Ist heute Freitag der Dreizehnte? 
Nein. Es ist Dienstag, der Siebzehnte!

Womit bewiesen wäre, dass Aberglaube Unsinn ist !

15.9.23

Neujahrsgruß


 

Unser Max

 



 

Nun ist es endlich so weit. Mit verkniffenem Gesicht und traurigen Mienen stellen wir fest, dass die Zeit unbemerkt da ist: Unser Max ist in die Jahre gekommen! Klar, wir hatten ja einige Zeit vorher schon mal so nebenbei darüber debattiert. Es war auch schon nicht mehr zu übersehen, Beulen und Kratzer lassen sich bei ihm nicht einfach mit etwas Make-up aus der Welt schaffen. Es ist nun mal so. Was hat er aber auch nicht schon alles mitgemacht! Wahnsinn, wenn ich daran denke! Damals am Jauchenpass, als er sich hartnäckig weigerte, nach Italien einzureisen und wir ihn mit mehr oder weniger sanfter Gewalt dorthin brachten. Und das pflanzte sich über die ganzen 40 Jahre seines bisherigen Lebens fort. Aber wir liebten ihn bedingungslos, den alten Bully!

  Nun muss er weg, das ist nun mal so. Am besten ist es, den Alten in Zahlung zu geben, nicht wahr? Also fahre ich erst mal zu meinem Händler. Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass er einige Schätzchen auf seinem wimpelgeschmückten Hof stehen hatte. Als der Händler mich ankommen sieht, huscht ein erwartungsvolles Grinsen über sein Gesicht. Er bemüht sich dann auch enthusiastisch, mir einige tolle Angebote zu machen.

  »Ich, ich würde aber gern mein altes Fahrzeug in Zahlung geben«, sage ich nach einer Weile. »Welches Fahrzeug?«

Er zieht erstaunt seine Augenbrauen hoch, guckt mich von oben bis unten an. »Aha, der da. Na ja, sollte kein Problem sein«, meint er dann, »da schaue ich mal schnell in die Liste, reichen sie mir mal den Fahrzeugschein rüber!« Er tippt eifrig eine Reihe Zahlen in seinen Taschenrechner. »Oh«, sagt er dann, »unter der Voraussetzung, dass wir nichts mehr in das Kerlchen hineinstecken müssen, hat er noch einen Wert von 52,50 €.

        »Wie viel??«, frage ich ungläubig. »Zweiundfuffzig, aber ich kann ja noch mal schauen, vielleicht lege ich noch etwas drauf!«
Er geht um unseren Bully herum, seine Augen werden immer größer. Dann entfährt ihm: »Soll das ein Witz sein? Den kann ich mit Schlüssel und Papieren auf dem Hof stehen lassen, den klaut noch nicht mal einer!«

»Och«, sage ich,  »die paar kleinen Beulen ...!«

»Wissen sie was«, sagt er dann, in dem er sich verschwörerisch umschaut, »ich hab einen Bekannten, wenn sie dem 50 Euro geben, haut er den durch die Presse und sie sind ihn los.« Er wedelt mit den Händen. »Von mir jedenfalls kriegen sie keinen müden Cent dafür.«

  Okay, dann eben nicht. Wenn er mir für den Bully nichts mehr geben will, kaufe ich auch nichts bei ihm. Ich fahre also wieder nach Hause. Am nächsten Morgen finde ich einen Werbezettel unter der Windschutzscheibe: 

Wir kaufen ihr altes Auto zu Höchstpreisen!
Na, denke ich, ist ja mal ein Wort. Ich greife also umgehend zum Telefon und sofort meldet sich am anderen Ende eine mürrische Männerstimme. »Ja, wat is?«

Na gut, ist ja früh und der Tag noch jung. 
»Guten Morgen«, sage ich, »sie wollen mein Auto kaufen?«

»Davon weess ik nix«, sagt die mürrische Stimme, »bring’n se den ma vorbei!«

»Was bieten sie mir denn dafür?« frage ich leise. 

»Eh Männeken«, sagt die Stimme, »wie soll ick dat denn wissen, ick hab den doch noch nich jesehn? Komm se vorbei!«

Na klar, er hat ja den Bully noch nicht gesehen. Ich mache mich also schnurstracks auf den Weg. Wieder solch ein fähnchengeschmückter Hof, hübsch hässlich bunt. Aber ich will ja auch kein Kunstwerk betrachten.

»Warum ham se den Wagen nich jleich mitjebracht,« fragt ein kleiner dicker Mann, der zu der Stimme am Telefon passt. Er pafft an einer Zigarre und sieht mich prüfend an. »Hier ist er doch«, antworte ich. Der Dicke schlägt die Hände über seinem Kopf zusammen. Dann schreit er in hohem Diskant: »Der? Der steht noch bei't Jüngste Jericht uff meim Hof.« »Aber, guter Mann«, sage ich, »ich hatte doch heute früh diesen Zettel am Wagen!«

»Det kann nicht sein, det waren bestimmt Kinda. Nee, nee, den nehm se man wieder mit.« Dann holt er tief Luft, und in dem er sich zu mir herüberbeugt: »Aber, wissen se wat? Ick kenn da een, wenn se dem ...«

       Ich winke ab:  »Ich weiss schon, wenn ich dem 50 Euro gebe, dann haut er den durch die Presse.« Nein, dann soll es eben nicht sein, ich nehme ihn wieder mit. Aber ich habe da eine Idee. 

Ich stell den Bully als Laube in meinen hinteren Gartenbereich. Dort bleibt er dann schön bunt bemalt als Denkmal an frühere Zeiten stehen. Das hat er schließlich auch verdient!

 ©by H.C.G Lux

14.9.23

Hallo Opa !?

 


 

Die Mittagsruhe ist mir heilig, seit ich nicht mehr ins Arbeitsleben eingespannt bin. Und so lebe ich dann auch genüsslich und tief versunken in irgendwelchen Traumwelten. 
Dann, im Halbschlaf die Melodie der »schönen blauen Donau«! Ist das nicht etwas Wunderbares? So zart mit Johann Strauß geweckt zu werden, das ist fast ein Märchenzauber.

Aber die schöne blaue Donau scheint doch irgendwelche anderen Pläne zu haben, ich stelle überrascht fest, dass es mein Smartphone ist, das mich den seligen Träumen entreißt. Meine freundlichen Gedanken nehmen sekundenschnell eine andere Färbung an. Noch schlaftrunken melde ich mich:

»Ja, Waldmann. Was gibt’s?«

»Hallo Opa,« eine jugendlich frische und sympathische Stimme meldet sich am anderen Ende der Leitung, »nu sag bloß, du kennst mich nicht mehr? Ich wollte dir nachträglich gratulieren! Und viel Gesundheit wünschen!«

Ich laufe ein wenig neben der Schiene. Wer wünscht mir was? Geburtstag ist schon vier Wochen vorbei. Sollte das mein Doc sein? Glaub ich nicht, der ist doch froh, wenn ich ich öfter bei ihm erscheine.

Wer wünscht mir alles Gute? Langsam komme ich zu mir. 

»Wer ist denn da?«

»Ich bin’s, dein Enkel!« 

Oha! Jetzt wird es spannend.

Ich frage ganz ostentativ: »Krischan?« Ein anderer Name fällt mir so schnell nicht ein.
»Klar Opa, der Christian, was denkst du denn. Mama hat mir extra aufgetragen, dich ja nicht zu vergessen. Sie ist gerade auf ’ner Kreuzfahrt im Mittelmeer!«
Soso, Kreuzfahrt. Na dann pass mal auf, du Kolkrabe, ich bin jetzt unter vollen Segeln.

»Na mien Jung, was hasse denn auf'm Herzen?« 

Ich bringe das so richtig mitfühlend rüber, meine eigenen Gefühle spielen schon Achterbahn.
»Ach Opa, ich hab da ein Problem. Ich muss da eine Kaution für eine Wohnung in Wilhelmshaven hinterlegen, und meine Kröten reichen nicht ganz!«

»In Wilhelmshaven? Was machst du denn in Wilhelmshaven? Arbeitest du da?« 

Wollen wir doch mal sehen, wie weit der Clown da noch geht. Jetzt macht es so richtig Spaß.
»Nee, Opa, Ich studier doch an der Seefahrtsschule. Will doch Käpt’n werden, so auf großer Fahrt!«

Ist doch gediegen - da gibt es gar keine Seefahrtsschule, die ist hier bei uns in Leer. Na gut, lassen wir ihm seinen Willen.

»Also Krischan, wie viel brauchst du denn für die Kautschon?«
Ich bin nun mal gespannt, wie hoch der Kerl jetzt pokert!
»Ach Opa, du weißt doch, wie das heute mit den Wohnungen ist. Zweitausendfünfhundert Euronen will der haben, ist das nicht unerhört?
Kannst du mir die vorschießen? Du kriegst auch auf Heller und Pfennig alles wieder.«

Tja, das ist wirklich »unerhört", will der Knilch zweieinhalb Mille von mir! Wie gehe ich da nun weiter vor?
»Also, so viel hab ich nich im Haus, da muss ich erst zur Bank!« 

Da fällt mir noch ein Trick ein.
»Du Krischan, ich kann dir das doch von ´ne Bank überweisen, ist doch auch sicherer!« 

Vor Lachen kann ich schon bald nicht mehr reden. Was macht er nun?

»Ist was, Opa, du klingst so komisch? - -

Also, der will das doch in bar! Und heute noch.

»Nee, mien Jung, is allens klor! Ich geh gleich zur Bank. Kannst das dann ja hier abholn, nee?«

Eine kurze Stille, ich frage nach: »Bist du noch da?«
Dann seine Stimme: »Ja! Nein! Das geht nicht, Opa, ich bin doch in Wilhelmshaven. Aber ich schick dir meinen Freund Till vorbei, der ist heute noch zu Hause in Augustfehn und kommt heut abend zu mir. Dem kannst du das mitgeben! Der kommt so gegen Drei zu Dir, ist das recht?«

Und ob mir das recht ist. Nebenbei bemerkt - ich habe gar keinen männlichen Enkel, meine Kinder haben alle Mädels auf die Welt geschickt!

So, nun ist es halb Zwei. Mein Skatbruder Willi, der Polizeimeister ist, den werde ich gleich informieren. Und der liebe Christian - oder wie er sonst noch heißt - der kriegt dann alles, was er braucht ...

Lebensnostalgie

  Jedes Jahr empfinde ich etwas anderes, wenn es langsam wieder aus dem Dasein entgleitet. Diesmal überkommt mich sanft eine Art Lebensnost...