24.7.24

Meine Zeit I.

 


 









Während ich vor einigen Jahren in diesen Teil meines Heimatlandes, in das schöne Ostfriesland, zurückkehrte, verlor ich irgendwann meine Erinnerung an mein voriges Leben. Keine Ahnung, mir ist nicht klar, wo es geblieben ist. Ich war mir auch nicht bewusst, dass ich diese Gedanken überhaupt verloren habe. Es geht nun im Grunde genommen nur noch um das Weiterwandern in den zukünftigen Rest des Lebens. Aber das ist ja beileibe kein neues Kapitel, lange vorher stand es schon im Buch des Lebens aufgezeichnet, man musste es nur lesen - oder eben beachten.

        Die grösste Neuigkeit ist jedoch momentan, dass der gesunde Menschenverstand des 81-jährigen Präsidenten der USA am Ende gesiegt hat. Er reicht die Fackel an seine Vizepräsidentin weiter. Natürlich nicht sofort, er will seine Amtszeit bis zur letzten Stunde auskosten. Diese Vizepräsidentin ist Kamala Harris, eine typisch amerikanische Frau. Sie trägt wie keine andere die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika in sich, von der Zeit der Sklaverei bis zum bitteren Vietnamkrieg! Sie wird es nicht leicht haben in diesem typischen US-Wahlkampf. Sie muss gegen einen gewieften Geschäftsmann, der mit allen Wassern gewaschen ist, antreten. Und wie das ausschaut, haben wir alle vor 4 Jahren erfahren!

       Aber auch Mr.Trump braucht nun alle Kräfte, wenn er hier bestehen will. Trotz all seiner Bemühungen, ein junges und gesundes Leben zu führen, wird ihm jetzt, mit 78 Jahren, das Image eines »alten Mannes« angeheftet. Sicherlich wird ihn das auch ein wenig verletzen und verunsichern. Er kann nun unmöglich noch behaupten, wacher zu sein als seine Gegenkandidatin, die jung, frisch, gutaussehend und redegewandt ist. Wir werden uns auf einen spannenden und nervenaufreibenden Kampf in den USA gefasst machen, in dem auch einiges für den ganzen Erdball auf dem Spiel steht.

       Ein anderer Kampf ist nun zu Ende! Am letzten Tag einer spannenden und schönen Tour de France gab es keine Überraschungen mehr. Jeder kann nun sagen, dass es einen rechtmässigen Sieger gibt, den Slowenen Tadej Pogačar. Er war nicht mehr auf dem Prüfstand, bereits zum dritten Mal war er Gesamtsieger und diesmal mit 6 Tagessiegen. Noch ein paar Tage und wir können die »Helden« dieser Tour - und andere - wieder bei den Olympischen Spielen in Paris bewundern. Ohne den Pogačar. Der braucht jetzt eine Erholung ...

       Am Freitag wird dort dann die Jagd auf Gold, auf Silber und Bronze eröffnet. Nicht nur im Radsport, sondern in allen Sportarten, die wir irgendwie kennen. (Gibt es eigentlich für den Herrn Bach auch eine Medaille? Ich frag ja nur.)

      "Na - dann spielt  man schön" - mit einem Wort von Theodor Heuss abgewandelt. Der meinte aber die Bundeswehr. (hoffentlich benötigen wir die nicht?)

So, das ist erst einmal alles, was ich an diesem grauen Mittwochmorgen zu sagen habe, schliesslich sind es wieder weitere Wortbilder, die ich mir für diese letzten Julitage gesichert habe. Wir sehen uns bestimmt wieder, oder?


 

23.7.24

Auch eine Wahrheit!

 











Nach dem 2.Weltkrieg machten die Siegermächte vielfach dem Deutschen Volk grosse Vorwürfe, dass sie unfähig gewesen wären, Widerstand gegenüber dem Nazi-System zu leisten.

       Der Schriftsteller und Publizist Erich Kästner bemerkte damals zu den Vorwürfen: »Wer hat denn, als längst der Henker bei uns öffentlich umging, mit Hitler paktiert? Das waren nicht wir ... Wer hat denn Konkordate abgeschlossen? Handelsverträge unterzeichnet? Diplomaten zur Gratulationscour und Athleten zur Olympiade nach Berlin geschickt? Wer hat denn den Verbrechern die Hand gedrückt statt den Opfern? Wir nicht, meine Herren Pharisäer!«

       Diese Aussage wurde leider unterdrückt, man durfte die Sieger ja nicht erzürnen. An solchen kleinen Bemerkungen erkennt man jedoch, dass man in einer Demokratie zwar alles sagen darf - aber möglichst hinter vorgehaltener Hand!

Wir sind inzwischen reifer geworden. Auch klüger?

16.7.24

Nichts war trotzdem Viel!

 















Wie lebten wir Kinder nach dem 2.Weltkrieg? 

Ich weiss nicht, ob es möglich ist, das Leben jener Zeit nachzuempfinden.
Vieles von dem, das heute selbstverständlich ist, war uns überhaupt noch nicht bekannt - weil es das noch nicht gab! Und vieles, das es schon gab, gab es aber
nicht mehr, weil das Benutzen eines Gegenstands doch jeweils von dem Vorhandensein abhängig ist.

       Wie lebten wir also? Wir waren fröhliche Kinder, wenn wir auch viel Leid erfahren hatten, nun aber wieder lachen konnten; wir waren gesunde Kinder, weil wir unser Dasein nicht mit ungesunden Nahrungsmitteln belasten mussten - weil sie nicht vorhanden waren. Wir waren lernbegierige Kinder, weil wir aus dem Zwang der staatlichen Behörden entkommen waren und nun eine freiheitliche Ordnung kennenlernen konnten!

       Und wenn diese wichtigen Anliegen nicht zutrafen, gab es genügend Hilfestellungen, die uns zur Verfügung standen, um hier Ausgleich zu schaffen. (das war wirklich so - wenn es auch unglaubwürdig klingt.) Und mit viel eigener Willenskraft und Übung brachte wir oftmals all das mit unzureichendem Werkzeug und Material aus irgendwelchem Altgeräten das zustande, das heute nur von erfahrenen Fachleuten bewerkstelligt werden kann!

       Das erste Jahrzehnt nach dem Krieg war eine schwere Zeit! Dieses erste Jahrzehnt war jedoch auch eine schöne Zeit! Es brachte das zum Vorschein, das der Krieg lange Zeit verschüttet hatte - das wunderbare Gefühl des »Miteinanders«, in der eigenen Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit. Kannst Du, liebe Leserin, lieber Leser, dieses Gefühl nachvollziehen, wenn mehrere Laien etwas schaffen, das als Unmöglichkeit galt - und dennoch zu einem wunderbaren Ergebnis geführt hat?

       Uns Kindern erging es nicht anders. Wir hatten nichts! Aber aus diesem Nichts brachte unsere Fantasie und Einbildungskraft so unendlich viel zum Vorschein, das man sich in der Gegenwart nicht mehr vorstellen kann,

       Wir brauchten zur Kommunikation kein Smartphone, wir trafen uns nicht zum »Abhängen«, sondern brauchten unsere knapp bemessene Zeit für sinnvolle Aufgaben! Knapp bemessen deswegen, weil unser Vater entweder noch in Kriegsgefangenschaft war oder im schlimmsten Fall »für Führer, Volk und Vaterland« sein Leben auf dem »Felde der Ehre« gelassen hatte!

       Wir schrieben noch Briefe - auf echtem Papier - und warteten dann sehnsüchtig auf Antwort! Etwas später trafen wir uns mit den Mädchen zum Tanzabend am Wochenende. Der Höllenlärm in den »Diskotheken« war uns fremd, es gab sie halt noch nicht! Ganz ehrlich: Sie haben uns auch noch nicht gefehlt! Lärm und Gefühl war damals noch etwas, das nicht zusammengehörte!

        Und die Schulzeit? Nach den Hausarbeiten, die von den Lehrern aufgegeben wurden, war das Spielen am Nachmittag angesagt. Wir hatten noch die Möglichkeit in der Stadt, auf der Straße zu spielen! So manche beliebten Gemeinschaftsspiele fanden in Ermanglung von großen Spielplätzen eben auf der Straße statt. Man stelle sich das einmal vor, die Zufahrtsstraße zur Bundesstraße YX wäre von einem Haufen Kinder besetzt, die »Völkerball« spielen …

       Rollschuhe wurden noch an den Schuhen angeschnallt, ebenso Schlittschuhe. Wenn wir bei uns Fußball spielten, hatten wir beileibe keine Fußballschuhe, von Turnschuhen bis zum Barfußspiel war da alles vertreten. Spaß hatten wir allemal. Ob Sommer oder Winter, ob Schnee oder Sonnenbrand, das Leben der Kinder war ohne die moderne Technik für uns Kinder lebenswert.

       Bis - ja bis die modernen Geräte uns einholten, bis das Denken an einem Punkt angelangt war, an dem das große Schild angebracht war: From now on, everything is automated!

14.7.24

Zeit für mich?

 


 













Da war einst ein kleiner Junge, der seinen Vater über alles liebte. In seinen Fantasien war dieser der Superheld, der alle Probleme lösen konnte; aus dieser Zuneigung entstand das Bedürfnis, ihn immer näher bei sich zu haben. Sein Vater liebte ihn ebenfalls, aber auf seine Art, doch er hatte zu wenig Zeit, da er immer zu sehr von seinem Beruf eingespannt war.

       »Papa«, sagte er eines Tages. »Ich habe diese schwierige Mathe-Aufgabe, von der ich nicht weiss, wie ich sie lösen soll. Kannst du mir bitte helfen?« Der Vater schüttelte angespannt seinen Kopf. »Nein, mein Junge, ich habe jetzt überhaupt keine Zeit, weil ich diese Arbeit für das Büro vorbereiten muss.«

       »Aber Papa, es ist sieben Uhr abends und du hast doch schon lange Feierabend!«.
»Nun, so ist es leider nicht, mein Sohn. Ich bin sehr beschäftigt; bitte doch die Mama oder deinen Bruder um Hilfe.«

       Am Wochenende sagte der Junge einem Vater: »Papa, bitte hilfst du mir, dieses Puzzle zusammenzusetzen?«

»Das kann ich jetzt nicht, mein Sohn, weil ich gerade das Auto überprüfen muss, da stimmt etwas nicht.«.
»Aber, Papa …«

»Hörst du nicht, mein Sohn? Ich habe definitiv keine Zeit dafür.«

***

Einige Tage später fragte der Junge seinen Vater. »Papa, erzähl mir doch mal. wie viel verdienst du pro Stunde in deinem Job?«

»Wozu willst du das wissen?«

»Wir haben in der Schule solche Textaufgaben! Nur um es zu wissen«, antwortete sein Sohn.

»Na, so ungefähr 4o Euro in der Stunde, etwa im Durchschnitt.«
»Danke, Papa«, sagte der Junge.

In den darauffolgenden Wochen trug der Junge frühmorgens Zeitungen aus, ohne es jemandem zu sagen und ohne dass seine Familie es merkte. Er machte es solange, bis er insgesamt vierzig Euro beisammen hatte. Als er den Betrag verdient hatte, ging er zu seinem Vater und sagte:

»Lieber Papa, ich möchte dir eine Stunde deiner Zeit abkaufen, damit du sie mir bitte ganz allein geben kannst.“

 

13.7.24

40 Jahre nach 1984

 
















In einem Erzeugnis der Presse las ich, Russland und China würden weniger Waffen in andere Länder exportieren als früher. Was wie eine erfreuliche Nachricht klingt, ist in Wirklichkeit ein schwacher Trost. Denn die autoritären Regime brauchen natürlich die Waffen der heimischen Rüstungsindustrie selbst – Moskau für den Angriffskrieg in der Ukraine, Peking zum Bau einer „Großen Mauer aus Stahl“, wie es Präsident Xi Jinping angekündigt hat.

      1989, mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, waren die damit verbundenen Hoffnungen groß, eine militärische Konfrontation autoritärer und demokratischer Systeme lasse sich dauerhaft überwinden. Sie haben sich als trügerisch erwiesen. Im Gegenzug zur russischen Invasion in der Ukraine rüstet nun auch Europa auf. Die USA exportieren Waffen mehr und mehr, Marschflugkörper sollen auch in Deutschland stationiert werden!

       Die Staaten in Chinas Nachbarschaft fahren ihre Ausgaben zur Verteidigung vor der immens machtvoll auftretenden Volksrepublik und auch Nordkoreas hoch! Längst vergessen geglaubte Konfliktmuster kehren nun zurück in eine polarisierte Welt der bis an die Zähne bewaffneten Großmachtblöcke!

      Obwohl überall die Sicherung des Friedens wohl den wichtigsten Grundwert für die Menschen darstellt, sind die politischen Mächte dieser Welt von einer aktiven Friedenspolitik so weit weg wie seit Jahrzehnten nicht. Das ist die bittere Wahrheit, die den Glauben an die Menschheit erschüttern muss.

 »Big Brother is watching you!«

– dieser Slogan ist längst zum Synonym für totale staatliche Überwachung geworden. Als George Orwell 1948 seinen Roman 1984 fertigstellte, stand er unter dem Eindruck der Entwicklungen in der Sowjetunion unter Stalin. Da englische Intellektuelle dem Sozialismus sowjetischer Prägung zunehmend mit Akzeptanz begegneten, befürchtete Orwell, sie könnten sich vom totalitären Staatsdenken verführen lassen.
      Als Folge führte er ihnen in seinem Roman den Totalitarismus drastisch vor Augen. Lohnte es sich nach dem Untergang des Ostblocks noch, den Roman zu lesen? Unbedingt, es lohnt sich auch heute noch, denn dieses Buch ist ein eindringliches Plädoyer gegen totalitäre Herrschaft jeglicher Couleur.

    Der Roman »1984« führt uns eindringlich vor, wie Sprache und gelenkte Nachrichten zum Instrument der Manipulation geraten. Moderne Kommunikationsmittel bedrohen darin die Privatsphäre der Menschen.

      Orwells düsterer und pessimistischer Zukunftsroman war schon bei seinem Erscheinen nur wenige Schritte von der Gegenwart entfernt – heute ist der Abstand zur Realität nur noch gering und wird immer geringer. Diese Einteilung in drei Machtblöcke, die Orwell beschrieb, ist sie wirklich so fern?

10.7.24

Dann musst du eben gehen.



Mitten aus dem Leben erzählt ... 






Sonnenschattengeflecht auf dem Waldboden. Der Geruch nach feuchtem Moos und nach Nadelgehölz umschmeichelt die Sinne; in einem leisem Windhauch schwanken die hohen Buchen und Kiefern, kaum wahrnehmbar. Im Unterholz absterbende Äste lassen das »Stirb und Werde« der Natur überdeutlich werden. Ein kleiner Käfer versucht unermüdlich, einen morschen Baumstamm zu erklimmen. Vergebliche Mühe. Gero lächelt, spielt den Retter und nimmt ihn vorsichtig zwischen zwei Finger, setzt ihn auf das faulende Holz. Der kleine Kerl hat nichts Schnelleres zu tun als auf der anderen Seite wieder herabzufallen. Liegt dort auf dem Rücken und strampelt verzweifelt mit seinen Beinchen, kommt dann doch wieder in die richtige Lage und klettert eilig davon.

       Geros angestrengtes Lächeln will nicht so ganz gelingen. Wie ähneln die Bemühungen des kleinen Käfers doch seinem Leben! Carola sitzt neben ihm auf einem Baumstamm, fragend schaut sie ihn verwundert an. »Warum lächelst du?« Sie fragt irritiert, wartet. Er schweigt. Eine nichtssagende Handbewegung, der hilflose Blick zur Seite drückt seine Unsicherheit aus. Carola schaut ihn immer noch an. Er weiss, dass sie ihn nicht verstehen wird. Wie sollte das auch sein? Im letzten Jahr, seit dem schweren Unfall, hat sich ihre Beziehung immer mehr getrübt, es war nichts übrig geblieben von ihrer Liebe als eine Verbindung, die kaum über das Oberflächliche hinausging. 

       Gero wendet den Kopf, blickt lange auf die Waldlichtung hinaus, wo erste Nebelschwaden über dem kleinen Bach schweben. Dann seine Antwort: »Ach, nichts Wichtiges, ich sah nur ein paar Bilder vor mir!« Sie senkt den Kopf, sieht zu Boden, eine endlose Reihe von roten Waldameisen zieht dort zwischen Kiefernnadeln ihre Bahn. »Ach ja?«  Auf ihrer Stirn werden ein paar Falten sichtbar, er kennt das, es ist ein untrügliches Zeichen von Unmut. »Früher haben wir unsere Gedanken immer ausgetauscht«, meint sie dann, »auch scheinbar Unwichtiges kann wichtig sein. Es sind Deine Worte!« 

       Er sieht sie an. Ihr blondes Haar konkurriert mit dem Blau ihrer Augen, einige Sommersprossen, die sie selbst so hasst, geben dem schmalen Gesicht einen Touch von Kindlichkeit. Der Ohrschmuck aus Lapislazuli setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf. Carola ist eine wirkliche Schönheit. Sie hatte ihn schon damals bezaubert, als sie noch zusammen in der Theatergruppe spielten. Und er war auch mächtig stolz, dass er derjenige war, der ihr Herz erobert hatte. Über drei Jahre ist es nun her, Jahre, die so wechselvoll waren wie meist das ganze Menschenleben auch. Freude und Glückseligkeit, Schmerzen und bittere Leiden. 

    »Wichtig. Unwichtig. Was macht das für einen Unterschied? Ändert das mein Leben? Unser Leben?« 
Er hat einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Warum heuchelt sie? Er weiss doch schon seit einigen Tagen aus einem Gespräch mit Freunden, dass sie sich von ihm trennen will. »Es ist unser letzter Tag heute, nicht wahr, Carola? Warum sagst du nicht direkt, was du meinst? Auch das ist wichtig, jedenfalls für mich!« Er spürt wieder diesen Druck auf der Brust, der ihm das Atmen schwer macht.

    »Du versinkst wieder in Selbstmitleid?« Ein wenig spöttisch klingt das schon aus ihrem Mund. Jedenfalls spürt er es so. »Nun gut, mein Freund! Ich will dir dann auch sagen, dass ich lange, sehr lange hin und her überlegt habe, was aus uns beiden wird. So geht es einfach nicht mehr. Ich brauche Leben um mich herum. Du jedenfalls ziehst dich immer mehr von allem zurück. Das meinen auch alle Freunde!« Ihre Stimme wird lauter, etwas schrill. Dann tippt sie mit dem Finger auf seine Brust: »Du denkst, es dreht sich alles nur noch um dich, ja? Bist du die Sonne? Nein, du bist nur der Mond, der sich von der Sonne bescheinen lässt! Verstehst du? Nur der Mond!«

       Verwirrt schaut er sie an. Heiss steigt es in ihm auf, seine Gefühle drehen sich unablässig im Kreise. So hat er sie noch nie erlebt. Dann sagt er leise mit heiserer Stimme: »So? Und du bist dann die Sonne, ja? Meine Sonne? Die mir das Licht gibt, ja?« Er schüttelt den Kopf, erfasst wahllos einen Zweig des Unterholzes, zerbricht ihn, wirft ihn zu Boden.
»Wie selbstgerecht du doch bist, Carola.« Sie erhebt sich, läuft erregt ein paar Schritte auf dem Waldweg entlang, kommt zurück, bleibt vor ihm stehen: »Selbstgerecht? Ich habe immer zu dir gehalten, auch in deiner schweren Zeit. Immer war ich für dich da. Aber irgendwann kann man halt nicht mehr, verstehst du? Da ist man ausgebrannt, einfach alle!«

       Er schweigt, weiss ja insgeheim, dass diese Worte der Wahrheit entsprechen. Sie hat ein Recht auf ihr eigenes Leben, er kann einfach nicht erwarten, dass sie ihm alles opferte. »Carola, ich, ich liebe dich doch!« Seine Stimme klingt rau, fast tonlos. Sie steht schweigend vor ihm, den Schein der untergehenden Sonne in ihrem Rücken, das Gesicht völlig im Schatten. Schaut ihn lange an. Dann flüstert sie mit verhaltenen Worten: »Ich glaube, ich muss jetzt gehen!«

       Fast unmerklich nickt er mit dem Kopf, schliesst fassungslos die Augen. Und wie aus unerklärlichen Sphären, aus den Wipfeln der hohen Bäume klingen Töne an sein Ohr, Takte aus Beethovens Neunter, schwellen an, brausen empor und verstummen dann mit einem Paukenschlag.

       Carola steht immer noch vor ihm, beugt sich zu ihm herab, küsst ihn auf die Stirn, streicht dann sanft mit der Hand über seine geschlossenen Augen.
»Lebewohl, Gero!« Er spürt noch lange diese kleine Berührung, plötzlich ist Beethovens Musik wieder da, machtvoll, nimmt seine ganzen Sinne gefangen, während seine Schultern zucken und die Hände zittern. Als er nach endlos langer Zeit die Augen öffnet, ist sie gegangen. Nur ein Schwarm Mücken tanzt lautlos an der Stelle, an der Carola gestanden hatte. 

       »Ja, dann musst du gehen!« Er flüstert es leise in die Stille des Abends hinein, löst die Bremsen seines Rollstuhls, rollt langsam auf dem Waldweg heimwärts, sehr kraftvoll, aber die Augen blind vor Tränen.

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8.7.24

Vorbei?

 
















Auf einmal war es vorüber. Lang erwartet, mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht, vor-kritisiert und von allen Seiten beleuchtet. Das Sommermärchen 2.0, das allen Interessierten dann doch nicht das erwartete Happy-end bescheren konnte, weil - ja warum eigentlich? Weil die Trauben dann doch noch nicht reif genug waren und man aus der Maische nur interessanten farbigen Essig zaubern konnte?

       Es ist nun mal das Gesetz solcher tollen Events: Einer kann nur der Gesamtsieger sein! Man kann einige Tage voller Hoffnung sein, dass alle Mitbewerber nicht den eigenen Level erreichen. Je nachdem nun der eigene Enthusiasmus auf die Spitze getrieben wird, bleibt dann die Enttäuschung in Grenzen oder fällt auf einen Zustand unter -50% des Vortages zurück.

       Der gewaltige (wirtschaftliche) Aufschwung, der beim Gewinn des ersten Platzes erwartet wird, fällt in sich zusammen, überlässt einer gewissen »Katerstimmung« seinen Platz. Bis dann irgendwann entdeckt wird, dass es ja gar nicht so schlimm ist, nicht an der Spitze zu stehen. Es bleibt immer der Aufruf, »nächstes Mal« von Neuem nach dem »Super-Cup« zu greifen! Irgendwie muss doch ein neuer Anreiz geschaffen werden, sonst geht alles völlig sinnlos an allen Beteiligten vorüber.

       Die finanziell hauptbeteiligten Partner wie UEFA oder FIFA erfinden doch immer wieder neue Wettbewerbe, um die FAN-Massen bei Laune zu halten. Die WM´s (oder EM´s) haben schon lange ihre Unschuld verloren!

(Wie die Olympischen Spiele auch, wer erinnert sich noch an die Zeit, als nur Amateure mitmachen durften? Thomas Morus »Utopia« ist auch im Sport kein Fremdwort mehr.)

Aber die Freude am Sport soll sich niemand nehmen lassen. Nur dass man im bitteren Ernst darin verharrt, ist kontraproduktiv! Im Zweifelsfall hilft stets ein Lächeln - auch wenn es vielleicht etwas gequält ist! 
Sehen wir uns 2026 bei der Fussball-WM wieder? Oder schon in den nächsten Tagen in Paris bei OLYMPIA? Bitte nicht den Spass verderben lassen ...

7.7.24

Anno Juli/´45

 


Ich fand einen Bericht von anno ´45, der mir interessant erschien, vielleicht auch für Euch?

Ich möchte ihn erwähnen, damit die Verhältnisse einmal gerade gerückt werden, die heute oft ins Extreme ausufern. Ich bitte um Entschuldigung, wenn das jemand als Provokation auffassen sollte - aber es ist dann auch gewollt...

 Donnerstag, 19.Juli 1945

Die Tagesrationen werden in der amerikanischen Zone auf 1550 Kalorien pro Tag festgesetzt, Bergarbeiter erhalten 3400, Kinder 1750 und werdende Mütter 2700 Kalorien. In Frankfurt beträgt die derzeitige Wochenration für Erwachsene: 1500 g Brot, 150 g Fleisch, 75 g Butter, 2500 g Kartoffeln, 1/8l Milch (täglich), 62,5 g Zucker, 62,5 g Nährmittel, 31 g Käse, 31 g Quark und 1/2 Ei.

 Quelle: [Deutsche Geschichte von Tag zu Tag:
19. Juli 1945. S. 13309

6.7.24

Freitag, der 13.

 


 
















Es war in der dritten Woche meiner Radwanderung durch unser schönes deutsches Land. Meppen im Emsland war das letzte Etappenziel des Vortags gewesen. Wohlig ausgeruht und gut gestärkt sattelte ich meinen Drahtesel, verabschiedete mich von der freundlichen Pensionswirtin und mit einem sorgenvollen Blick in den magentaroten Morgenhimmel machte ich mich auf den Weg nach Norden. Es dauerte auch nicht lange, da zeigte der Himmel mir seine unangenehme Seite, Wolken hingen wie nasse Federn über dem Radweg an der alten, kaum befahrenen Bundesstraße.

         Dann kam der Regen! Stundenlang regnete es ununterbrochen wie aus Gießkannen. Ich wusste schließlich nicht mehr, wie lange ich schon unterwegs war, jedes Zeitgefühl schien mir abhanden gekommen zu sein. Die Gegend, in der ich mit meinem Drahtesel unterwegs war, hatte mich beim Morgenrot noch zu lautem Singen animiert. »Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit, wenn die Winde um die Berge singen ...«.

       Leider war mir dieses Hochgefühl dann doch nach einiger Zeit abhanden gekommen. Wer im strömenden Regen auf einem Radweg in einer einsamen Landschaft noch Lust hat, Wanderlieder zu singen - der muss wohl eine besonderer Mensch sein! Oder leicht angeknackt! Ich jedenfalls fluchte - laut und leise - vor mich hin, mir war nach allem zumute, nur nicht nach Gesang. Das Regencape hatte ich zwischendurch aus lauter Frust schon weggeworfen, nun war ich nass wie eine Katze, die in den Bach gefallen war.     Verzweifelt hielt ich Ausschau nach irgendwelchen Unterstellmöglichkeiten, nichts Derartiges war zu sehen. Bäume, gewiss, die gab es zur Genüge. Die jedoch trugen zur Lösung meines Problems nicht das Geringste bei! Ja - und dann - um das Maß der Freude voll zu machen: Das Hinterrad war »platt«! Wie auch immer, ich musste in den sauren Apfel beißen und mit dem zum Glück vorhandenen Flickzeug dem Schaden zu Leibe rücken! Das bedeutete nun: Bei strömendem Regen sämtliches Gepäck abladen, schimpfen, Hinterrad ausbauen, schimpfen, Schlauch flicken, schimpfen, Hinterrad einbauen, schimpfen, Gepäck wieder festzurren. Und dazu weiterhin das weiche Wasser aus Himmelshöhen gratis zum Kühlen.

      Langsam kam dann doch eine stoische Ruhe über mich! Sei es, dass meine Energie von der ganzen Meckerei am unteren Ende der Skala angelangt war; sei es, dass mich der Regen so abgekühlt hatte, dass der Rote Bereich schon nicht mehr erkennbar war: Ich konnte über die ganze Situation lächeln. Nicht nur lächeln, nein - ich lachte aus ganzem Herzen über meine Lage! Ich lachte und lachte, sicherlich war es der ganze Frust vorher, der sich nun in dieser Heiterkeit entlud. Und dieses Gelächter schien nicht enden zu wollen und es dauerte sicher eine Viertelstunde lang, bis ich meine Lachmuskeln wieder unter Kontrolle hatte.         Dann setzte ich mich wieder auf den Sattel und versuchte dem von vorn kommenden Wind - (der Wind kommt auf dem Rad immer von vorn!) - und dem Regen Paroli zu bieten. Seltsamerweise aber störte es mich keineswegs mehr. 

       Stunden später erreichte ich eine kleine Ortschaft. Der Dorfgasthof schien mir das Ziel all meiner Wünsche zu sein. Hier wollte ich übernachten, um danach am nächsten Morgen frohgemut in die Pedalen zu treten. Mein Blick fiel auf mein Äusseren. Ich erschrak. Mein Aussehen glich einem Vagabunden, der drei Wochen weder Bett noch Bad gesehen hatte. Regen und Schmutzspritzer hatten das Ihrige getan, um mich so katastrophal aussehen zu lassen. 

»LINDENHOF«, dieses wundervolle Schild verhieß mir Erholung und Schlaf. Dann jedoch sah ich in Gedanken einen Wirt vor mir, der mich von oben bis unten mustert und dann abschätzig zu mir sagt: »Ich hab kein Zimmer frei!« Ich fasste all meinen Mut zusammen und betrat die Gaststube. Ein anheimelnder Raum, blitzsauber und einladend. Aus den Nebenzimmern erklang Musik, Tanzmusik, lautes Reden und Gelächter. Der Wirt musterte mich zwar auch, als ich meinen Wunsch nach einem Zimmer vorbrachte. Dann aber sagte er: »Ich hab nur ein Doppelzimmer frei, wenn es recht ist?«

       Ich hätte ihn umarmen können. Endlich ausruhen, schlafen. Welch eine paradiesische Aussicht. Natürlich sagte ich sofort zu, holte dann mein Fahrrad und das Gepäck in den Hof um dann als erstes ein ausgiebiges Duschbad zu nehmen und mich umzuziehen. Ein herrliches Abendessen hatte ich mir schon beim Wirt bestellt.

         Als ich mich dann später wieder in einen normal aussehenden Menschen verwandelt hatte, betrat ich das Gastzimmer, um mein Abendessen zu genießen. Mein Blick fiel auf die sechs Tische im Gastraum. Es war nirgendwo für mich gedeckt! Ich schaute mich enttäuscht um, der Wirt trat hinzu, sah mein fragendes Gesicht und meinte dann, auf das Nebenzimmer zeigend: »Abendessen gibt es hier nebenan!« Gottlob, doch noch eine Mahlzeit, mein Magen hing schon auf Halbmast. 

     Ich betrat das Nebenzimmer und war plötzlich von einer großen Anzahl lustiger Menschen umringt. Sekt wurde mir angeboten, ein Platz ,an einer langen, festlich gedeckten Tafel freigemacht. Dann saß ich mit einer Vielzahl von gutgelaunten freundlichen Menschen zusammen und nahm an einer Mahlzeit teil, an die ich nicht im Traume hätte denken können! Die Hauptpersonen dieser Feier, ein Hochzeitspaar aus dem Dorf, nahm mich in diesen Kreis auf, integrierte mich in eine Gemeinschaft, von der ich noch Stunden vorher nichts wusste. Es wurde noch ein ausgelassenes Fest, Tanz und Gesang, witzige Reden und gute Gespräche liessen mich meine Müdigkeit vergessen. Als ich mich um Mitternacht schon ziemlich angeheitert, von der Gesellschaft verabschiedete, glaubte ich, in einem Märchen gewesen zu sein.

       Trotz des Lärms, der in den unteren Räumen noch herrschte, fiel ich in einen tiefen, erholsamen Schlaf, aus dem ich erst spät am Samstagmorgen erwachte. Das Frühstück später in der Gaststube nahm ich mit den Wirtsleuten gemeinsam ein. Wir redeten noch sehr lange über den gestrigen Abend, meine neugierigen Fragen aber wollten sie mir nicht beantworten.

       Am späten Vormittag verabschiedete ich mich, als ich dann jedoch die Rechnung verlangte, schaute der Wirt mich über seine Brille hinweg verwundert an: »Wieso Rechnung? Das ist schon alles bezahlt!« Mein verdutztes, fragendes Gesicht brachten ihn dann doch wohl zum Lachen. »Sie müssten sich jetzt einmal sehen«, sagte er dann, »solch ein Gesichtsausdruck ist einen Preis wert«. Und wie eine Prämie reichte mir dann die Wirtin noch ein gefülltes Körbchen mit den Worten: »Damit Sie unterwegs nicht hungern müssen!«

  Gestern war wieder Freitag, der Dreizehnte! Glückstag - Unglückstag? Aber ich bin nicht abergläubisch. Nein, wirklich nicht, musst Du mir glauben. Bin es auch nie gewesen. Aber seit jenem Freitag schaue ich mir jeden Kalender immer ganz genau an. Darauf kannst Du Dich verlassen! 

2.7.24

Nutze deine Zeit

 















In der Schule lernte ich einst, dass Materie weder erschaffen noch zerstört wird, sie verändert sich nur. Genauso denke ich, dass auch die Beziehungen zwischen den Menschen niemals ganz verschwinden, sondern sich tatsächlich nur verändern.

        Treue, Liebe, Freundschaft, familiäre Zuneigung, Vertrauen, Schuld, Feindseligkeit, Groll, Leid - all diese trivialen Leitsätze verändern sich in ihren Inhalten ständig. Mit den wandelnden Zeiten sind sie trotz allen anderslautenden Beteuerungen längst nicht mehr das, was sie waren, sondern werden zu etwas anderem, weder besser noch schlechter, eben anders!

       Manchmal höre ich von jungen Menschen, das sie die Freundschaft preisen und auch fest an ihre Unzerstörbarkeit glauben. Sie denken, dass alles, was sie heute unverbrüchlich miteinander verbindet, niemals mehr verschwinden wird. Ein auf ewig angelegtes Bündnis also. Dazu muss ich sagen, dass meine Meinung in der Vergangenheit mit diesen Aussagen völlig konform ging. Ich kann dann nicht umhin, den jungen Menschen zu sagen, dass sie jeden Moment nutzen sollen, weil sie es in einigen Jahren vielleicht nicht mehr tun werden.

       Sie können es heute noch nicht verstehen, auch nicht glauben, aber sie werden nie wieder zu denen werden, die sie heute sind, Und sie werden nicht in der Lage sein, das wiederzugewinnen, was sie verlieren. Es ist sehr schwer lernen zu müssen, ohne diese Gefühlsregungen zu leben, die sie einst hatten, zumal es fast unmöglich ist, das heute schon zu akzeptieren.

       Die Jugend ist die goldene Zeit unseres Lebens! Sie ist das Beste; vielleicht ist auch die Erinnerung dafür verantwortlich, die sie verschönert und die Schattenseiten verbirgt? Denn ohne Zweifel gab es viele jener Dinge, an die wir uns zu erinnern glauben, die jedoch nicht so geschehen sind.

       Wir werden nie wissen können, was wirklich passiert ist, wenn wir uns daran erinnern. All das ist im Nebel der Zeiten untergegangen. Besser gesagt, es hat sich in etwas ganz anderes verwandelt, das wir nun als etwas Neues erkennen, als wenn es die wahre Wirklichkeit war!

       Das ist die Frage, die ich mir stelle, wenn ich zurückblicke und mich an meine Jugend erinnere. Viele andere Fragen wurden schon seinerzeit in mir aufgeworfen, die ich in meinen Lebenserinnerungen »Tausend Jahre« zu beantworten versucht habe.

Wahrscheinlich aber ohne Erfolg …

Meine Zeit I.

    Während ich vor einigen Jahren in diesen Teil meines Heimatlandes, in das schöne Ostfriesland, zurückkehrte, verlor ich irgendwann mei...