10.12.23

Dezember

von
Hermann von Lingg   
(1820-1905)












Wenn über Wege, tief verschneit,
der Schlitten lustig rennt,
im Spätjahr, in der Dämmerzeit,
die Wochen im Advent,
wenn aus dem Schnee das junge Reh
sich Kräuter sucht und Moose,
blüht unverdorrt im Frost noch fort,
die weiße Weihnachtsrose.

Kein Blümchen sonst auf weiter Flur;
in ihrem Dornenkleid
nur sie, die nied're Distel nur,
trotzt allem Winterleid.
Das macht, sie will erwarten still
bis sich die Sonne wendet,
damit sie weiß, dass Schnee und Eis
auch diesmal wieder endet.


Doch ist's geschehn, nimmt fühlbar kaum
der Nächte Dunkel ab,
dann sinkt mit einem Hoffnungstraum
auch sie zurück ins Grab.
Nun schläft sie gern; sie hat von fern
des Frühlings Gruß vernommen,
und o wie bald wird glanzumwallt
er sie zu wecken kommen

9.12.23

Familiengemälde

 

von
Anastasius Grün  (1806-1876)














Lovis Corinth: Der Künstler und seine Familie 


Großvater und Großmutter,
die saßen im Gartenhag;
Es lächelte still ihr Antlitz,
Wie'n sonniger Wintertag.

Die Arme verschlungen,
Ruhten ich und der Geliebte dabei,
Uns blühten und klangen die Herzen,
Wie Blumenhaine im Mai.

Ein Bächlein rauschte vorüber
Mit plätscherndem Wanderlied;
Stumm zog das Gewölk am Himmel,
Bis unseren Blicken es schied.

Es rasselte von den Bäumen
Das Laub verwelkt und zerstreut,
Und schweigend an uns vorüber
Zog leisen Schrittes die Zeit.

Stumm blickte auf's junge Pärchen
Das alte stille Paar.
Des Lebens Doppelspiegel
Stand vor uns licht und wahr.

Sie sah'n uns an und dachten
Der schönen Vergangenheit.
Wir sah'n sie an und dachten
Von ferner künftiger Zeit.

8.12.23

Frauen.

 

von
Justinus Kerner
   (1786-1862)
















Was wär' die Erde ohne Frauen?
Das fühlt das Herz, ist's Auge blind.
Ein Garten wär' sie anzuschauen,
In welchem keine Blumen sind;

Wär' wie ein Tag, der ohne Sonne,
Wie eine Nacht ohn' Sternenlicht,
Hätt' nie gefühlt der Liebe Wonne,
Geglaubt auch wohl an Engel nicht!

Dann hätte wohl auch Gottes Liebe
Kein fühlend Herz auf sie gestellt;
Denn wie langweilig, kalt und trübe
Wär' ohne Frauen dann die Welt!

Preis jeder Stunde, wo gegeben
Gott dieser Welt ein weiblich Kind
Zu lichtem, warmem Frauenleben,
Und wenn es noch so viele sind!

7.12.23

Vineta (*)

von
Wilhelm Müller,
 *1794  †1824















Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde
Klingen Abendglocken dumpf und matt,
Uns zu geben wunderbare Kunde
Von der schönen alten Wunderstadt.

In der Fluten Schoß hinabgesunken,
Blieben unten ihre Trümmer stehn.
Ihre Zinnen lassen goldne Funken
Widerscheinend auf dem Spiegel sehn.

Und der Schiffer, der den Zauberschimmer
Einmal sah im hellen Abendrot,
Nach derselben Stelle schifft er immer,
Ob auch rings umher die Klippe droht.

Aus des Herzens tiefem, tiefem Grunde
Klingt es mir, wie Glocken, dumpf und matt.
Ach, sie geben wunderbare Kunde
Von der Liebe, die geliebt es hat.

Eine schöne Welt ist da versunken,
Ihre Trümmer blieben unten stehn,
Lassen sich als goldne Himmelsfunken
Oft im Spiegel meiner Träume sehn.

Und dann möcht ich tauchen in die Tiefen,
Mich versenken in den Widerschein,
Und mir ist, als ob mich Engel riefen
In die alte Wunderstadt herein.

(*) =sagenhafte untergegangene Stadt in der Ostsee


6.12.23

Erwartung der Weihnacht

 

von
Otto Ernst 
(1862-1926)














Noch eine Nacht - und aus den Lüften
Herniederströmt das goldne Licht
Der wundersamen Weihnachtsfreude,
Verklärend jedes Ungesicht.
Und wieder klingt die alte Sage:
Wie einst die Lieb′ geboren ward,
Die unbegrenzte Menschenliebe
In einem Kindlein hold und zart.

Nun zieht ein süß erschauernd Ahnen
Durch Höhn und Tiefen, Flur und Feld.
Nun deckt geheimnisvoll ein Schleier
Des trauten Heimes kleine Welt.
Dahinter strahlt′s und lacht′s und flimmert′s
Und ist der süßen Rätsel voll,
Durch alle Räume weht ein Odem
Der Freude, die da kommen soll.

Und draußen nicken Bäum′ und Büsche
So leis′ winterklarer Luft:
Die Kunde kommt, dass neues Leben
Sich wieder regt in tiefer Gruft.
Es knarrt die Eiche vor dem Fenster,
Sie träumt von langer Zeiten Lauf;
Da steigt wohl auch ein froh′ Erinnern
In ihre Krone still hinauf.

O weilt, ihr jugendschönen Stunden,
Verweile du, der Hoffnung Glück!
Vermöcht′ ich′s nur: mit allen Kräften
Der Seele hielt′ ich dich zurück.
Ihr süßen Träume es Erwartens,
Der Wunder und Gedichte voll,
Ihr seid noch schöner als der Jubel,
die Freude, die da kommen soll

5.12.23

Schäfers Klagelied

 


von
Johann Wolfgang von Goethe  (
*1749 † 1832)






Da droben auf jenem Berge,
Da steh ich tausendmal,
An meinem Stabe gebogen
Und schaue hinab in das Tal.


Dann folg ich der weidenden Herde,
Mein Hündchen bewahret mir sie.
Ich bin heruntergekommen
Und weiß doch selber nicht wie.

Da stehet von schönen Blumen
Die ganze Wiese so voll.
Ich breche sie, ohne zu wissen
Wem ich sie geben soll.

Und Regen, Sturm und Gewitter
Verpass ich unter dem Baum.
Die Türe dort bleibet verschlossen
Denn alles ist leider ein Traum.

Es stehet ein Regenbogen
Wohl über jenem Haus!
Sie aber ist weggezogen,
Und weit in das Land hinaus.

Hinaus in das Land und weiter,
Vielleicht gar über die See.
Vorüber, ihr Schafe, vorüber!
Dem Schäfer ist gar so weh.

4.12.23

Morgengruß im Schneefall

 von
Sidonie Grünwald-Zerkow  (1852-1907)






















»Herzlieb, guten Morgen!« hauch' ich leis'
In den Schnee hinaus durch die Scheiben,
Daran die Flöckchen dicht und weiß
In den Lüften vorübertreiben!

Ich dank' dem Schnee, der sich mir lieh
Meinen Gruß Dir zu bringen heute!
Schneit es auf Dich durch Dein alt - Parapluie,
Denk, daß es Küsse schneite!

Guten Morgen! Wann ans Fenster Dir
Den Schnee Du leise hörst schlagen,
Weißt Du, was seine Flöckchen von mir
Dir wollen neidvoll sagen?

Sie wollen Dir sagen: mein Lieben ist rein
Wie der Schnee, der in weißen Krystallen
Hell, blendend leuchtet ins Auge hinein,
Wann frisch er vom Himmel gefallen, -

Und daß meiner Liebe solch Los nicht droht
Deß der Schnee, der blanke, gewärtig,
Mit dem verfließt der Straßenkot ...
Befleckend ihn widerwärtig! - -

Mein Lieben ja Dich umfangen hält,
Dich, den es in Reinheit bekränzet
Wie Schnee, der auf die Firne fällt,
Und im Alpenglühen glänzet! ...

3.12.23

Das Dorf im Schnee



  von Klaus Groth (1819 - 1899)







Still wie unterm warmen Dach,
liegt das Dorf im Schnee.
Unter Erlen schläft der Bach,
unterm Eis der blanke Schnee.

Weiden stehn in weißem Haar
spiegeln sich in starrer Flut,
alles ruhig, kalt und klar,
wie der Tod, der ewig ruht.

Weit, so weit das Auge sieht,
keinen Ton vernimmt das Ohr.
Blau zum blauen Himmel zieht
sacht der Rauch vom Schnee empor.

Möchte schlafen wie der Baum,
ohne Lust und ohne Schmerz.
Doch der Rauch zieht wie im Traum
still nach Haus mein Herz.

 


2.12.23

Winterabend

 


von
Ferdinand von Saar  (1833-1906)














Wie muß der Tag sich neigen
Im Winter, ach, so bald;
Ein tiefes, mildes Schweigen
Liegt über Flur und Wald.

Am Himmel noch ein Schimmern,
Ein letztes, doch kein Stern;
Trübrothe Lichter flimmern
Aus Hütten still und fern.

Und trüb und immer trüber
Der Landschaft weiter Kreis;
Es zieht der Bach vorüber
Eintönig unter'm Eis.

Horch – welch ein leises Beben
Urplötzlich in der Luft?
Geheimnißvolles Weben,
Geheimnißvoller Duft!

Wie ferne, ferne Glocken
Erklingt's – so wohl – so weh' –:
Da fällt in dichten Flocken
Zur Erde sanft der Schnee.

1.12.23

Raureif vor Weihnachten

von 
Anna Ritter   (1865-1921)

















Ludwig Richter, Der erste Schnee


Das Christkind ist durch den Wald gegangen,
Sein Schleier blieb an den Zweigen hangen,
Da fror er fest in der Winterluft
Und glänzt heut' morgen wie lauter Duft.

Ich gehe still durch des Christkind's Garten,
Im Herzen regt sich ein süß Erwarten:
Ist schon die Erde so reich bedacht,
Was hat es mir da erst mitgebracht!

30.11.23

Die verschneite Bank

 

von
Martin Greif   (
*1839  †1911)



















Da steht die Bank, rings eingeschneit,
Auf der so gern wir saßen,
Wann wir im Traum der Jugendzeit
Die Welt umher vergaßen.

Und doch, wie licht und lockend lag
Sie damals uns zu Füßen -
O könnt' ich sie nur einen Tag
So wiederum begrüßen!

Ja, als die Herzen uns geglüht,
Da war es schön und wonnig,
Und wann der Frühling uns umblüht,
Da war es doppelt sonnig.

Doch heute kann ich nicht so sehr
Dem Winter es verargen,
Daß er mich will nicht dulden mehr,
Wo wir im Glück uns bargen. 

29.11.23

Abendwolke

 


von
Conrad Ferdinand Meyer  (
*1825  †1898)








So stille ruht im Hafen
das tiefe Wasser dort,
die Ruder sind entschlafen,
die Schifflein sind im Port.

Nur oben in den Äther
der lauen Maiennacht,
dort segelt noch ein später
friedfert'ger Ferge sacht. (*)

Die Barke still und dunkel
fährt hin in Dämmerschein
und leisem Sterngefunkel
am Himmel und hinein.

(*) = althochdeutsch "Fährmann"