Ein Blick auf 1949
Seit der Währungsreform ging es nun langsam wieder aufwärts im Land. Das Wirtschaftswunder nahm bei uns im Westdeutschland dank des Marshall-Plans langsam Fahrt auf. Die Freunde aus den fernen
USA ließen uns doch nicht im Stich! Also, wer das gedacht hatte, lag nun eben falsch; der alles verheerende Weltkrieg II. war doch erst drei Jahre vorbei und der Morgenthau-Plan, mit dem man Deutschland zum reinen Agrarland
machen wollte, wurde rechtzeitig vorher vom Tisch gewischt! Man brauchte »the Germans« plötzlich wieder als Bollwerk gegen den »roten Osten«!
Das Seltsame dabei schien mir zu sein, dass es dabei einem Teil der »Siegermächte« viel schlechter erging als uns hier im zertrümmerten Nachkriegsdeutschland.
Nur bei uns im entlegenen Ostfriesland ließ noch alles etwas länger auf sich warten. Das zuständige Arbeitsamt aber wusste für mich Rat, natürlich - sie saßen ja an
der Quelle. Von dort kam dann auch ein Angebot: Ein Schiffer in Haren an der Ems suchte einen Schiffsjungen für die Binnen-Schifffahrt! Na super, was sich daraus alles machen ließ.
Ich stellte mich vor und eins-zwei-drei hatte ich einen Job - aber leider keine Lehrstelle. Wer aber fragte danach? Das war es dann auch schon. Ich besaß leider
nichts. Mit einem Anfangslohn von zwanzig neuen Deutschen Mark monatlich konnte ich auch keine großen Sprünge machen.
Die ersten sechs Monatslöhne gingen schon für den Erwerb von Berufskleidung drauf, die der Schiffer mir »äußerst großzügig vorfinanzierte«. Nun war ich
also Schiffsjunge auf einem Schleppkahn in der Binnenschifffahrt. Super, ohne Zweifel ein Fortschritt. Klar, ich lernte nun das zerschlagene Westdeutschland auf allen Kanälen und auf dem Rhein kennen. Anderseits war es
auch eine höllisch harte Arbeit. Zwölf Stunden stets mit allen Sinnen und Muskeln auf dem Posten sein, nebenbei noch Smutje spielen - das war für einen Vierzehnjährigen gar nicht so einfach.
In den ersten Jahren nach dem Krieg stand die Schleppschifffahrt auf Flüssen und Kanälen ja auch noch in voller Blüte, aber schon kamen die moderneren selbstfahrenden Motorschiffe
hinzu. Mein Metier allerdings war noch die alte Binnenschifffahrt, ich lernte noch das alte Muster, das in dieser fortschrittlichen Welt keine Zukunft mehr hatte.
Das war nun bei mir im Jahr 1948 der Berufsanfang dar. Vielleicht hätte ich mir mehr Mühe geben sollen, aber spätestens nach einem halben Jahr hatte ich von diesem »Anfang«
die Nase gestrichen voll. Klar, natürlich kannte ich den alten Satz: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Doch in dieser Schifferfamilie hätte ich es nicht noch zweieinhalb Jahre ausgehalten.
Die ausgesprochen strenge katholische Lebensart dieser Menschen brachten mich oft zur Weißglut. Wenn die Tischgebete vor- und nachher beispielsweise länger dauerten als die gesamte Mahlzeit
dazwischen, trug dies nicht unbedingt dazu bei, meine Ansichten zu ändern. Dazu kam noch die Intoleranz mir gegenüber als Flüchtling - und zu allem Übel hatte ich dann noch die falsche Konfession! Ich war
evangelisch, wie peinlich für den Arbeitgeber! Ja - und überdies die Krone noch obenauf zu setzen: Ich kam noch aus Ostfriesland, die Heimat der Schifferfamilie aber war das Emsland! Heute gibt es diese Animosität
der einzelnen Landesteile kaum noch, aber seinerzeit – es war zum Heulen!
Der Käpt’n und ich fanden einfach keine gemeinsame Basis mehr. Auch wenn man mich ständig bekniete, zum Katholizismus zu konvertieren, das war für mich nie eine Lösung!
(Ich hatte oft das Gefühl, man hätte eine Prämie auf meinen Kopf ausgesetzt.) Einzig allein die Tatsache, dass ich das norddeutsche Land im Handumdrehen kennenlernte, sah ich
als Positivum an. Mein Gefühl war »deutsch«, warum ist mir auch heute noch nicht klar!
Ich erinnere mich auch noch gut, dass ich zu Beginn meiner ›Karriere‹ eine »vorgeschriebene deutsche Flagge« auf ein Schild aus Blech malen musste. Das war in der Zeit in
Ermangelung einer noch fehlenden echten deutschen Flagge die ›Cäsar‹-Flagge aus dem Repertoire der Signalflaggen: Blau-Weiß-Rot-Weiß-Blau!
Ja, irgendwann danach geschah etwas, das mir das Nachdenken über mein Leben erst einmal völlig aus der Hand nahm. Bei einer Fahrt zu einer Reparatur in einer Papenburger Werft blieb ich
mit einem Beinchen in einem aufgerollten Drahtseil hängen. Dieser Fehltritt war dieser Seilschlinge keinesfalls recht. Sie sträubte sich gegen den Fußtritt und warf mich kurzerhand einfach über Bord! Pech
für mich.
Mir war nur nicht klar, weshalb ich nun den Papenburger Hafen aus einer völlig anderen Perspektive kennenlernen musste. Das Wasser war im Februar noch gar nicht gut temperiert, freundlicherweise zog
man mich sehr schnell wieder aus diesem öltriefenden Nass des Hafenbeckens aufs Trockene. Es wurde meines Erachtens aber auch höchste Zeit, denn ich gehörte zu dem Teil der Bevölkerung, der nicht schwimmen
konnte! But - what kind of sailor can swim?
Na gut, »Seemann« konnte man mich nicht nennen, aber doch immerhin, nicht wahr, etwas Respekt stand mir denn doch wohl zu, oder? Nach eingehender Besichtigung all meiner edlen Körperteile
konnte nunmehr jeder sehen, dass ich tiefe Eindrücke des Papenburger Hafens mit an Land gebracht hatte. Zu den schmerzhaften dunkelblauen Seilabdrücken am rechten Bein kam schließlich noch einiges mehr hinzu.
Eiswasser mag nun gut für einen Drink sein, zugegeben, aber für menschliche Knuddel-Bedürfnisse nicht so ganz geeignet. Mein noch kindlicher Körper bedankte sich bei mir mit einer
saftigen Erkältung, diese durfte ich auch bei meiner Mutter zu Hause auskurieren. Für kranke Mitarbeiter schien nun mal kein Platz im großen Haus des Käpt’n zu sein. Ich durfte nun gern heiß-fiebrig
angehaucht mit dem Zug nach Hause fahren. Doch, wirklich, ich fand das - seinerzeit - doch sehr human! Sonst hätte ich möglicherweise wie geplant an Bord auf der Werft bleiben müssen.
So weit, so gut, - oder so schlecht - da war nun also erst einmal Pause in meinem gerade begonnenen Arbeitsleben angesagt. Solch ein Unfall hat eben auch manches Mal zwei Seiten! So auch bei mir.
Wegen starker Schmerzen in meiner Lunge konsultierten wir das Kreiskrankenhaus in Leer. Die lieben Ärzte dort waren nach ihrer Diagnose gar nicht zufrieden mit mir. Sie erzählten mir langatmig, dass ich sehr krank
wäre, was wiederum über mein Verständnis weit hinausging. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich darüber traurig war!
War ich danach traurig? Ich würde das heute nicht mehr so einfach bejahen! Es schien eher, als hätte ich meinen »armen Käpt’n« gern auf seinen Moses warten lassen.
Damit war meine Pechsträhne aber noch nicht abgerissen. Ich hatte eine trockene Pleuritis, also eine Rippenfellentzündung davongetragen!
Das war nun leider eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit, da jeder Atemzug mir üble Schmerzen bereitete. In den nächsten Monaten im Krankenhaus in Leer hatte ich ausreichend
Zeit, mich daran zu gewöhnen.
(©by H.C.G.Lux)