Es war in der dritten Woche meiner Radwanderung durch unser schönes deutsches Land. Meppen im Emsland war das letzte Etappenziel des Vortags gewesen. Wohlig ausgeruht und gut gestärkt sattelte ich meinen Drahtesel, verabschiedete mich von der freundlichen Pensionswirtin und mit einem sorgenvollen Blick in den magentaroten Morgenhimmel machte ich mich auf den Weg nach Norden. Es dauerte auch nicht lange, da zeigte der Himmel mir seine unangenehme Seite, Wolken hingen wie nasse Federn über dem Radweg an der alten, kaum befahrenen Bundesstraße.
Dann kam der Regen! Stundenlang regnete es ununterbrochen wie aus Gießkannen. Ich wusste schließlich nicht mehr, wie lange ich schon unterwegs war, jedes Zeitgefühl schien mir abhanden gekommen zu sein. Die Gegend, in der ich mit meinem Drahtesel unterwegs war, hatte mich beim Morgenrot noch zu lautem Singen animiert. »Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit, wenn die Winde um die Berge singen ...«.
Leider war mir dieses Hochgefühl dann doch nach einiger Zeit abhanden gekommen. Wer im strömenden Regen auf einem Radweg in einer einsamen Landschaft noch Lust hat, Wanderlieder zu singen - der muss wohl eine besonderer Mensch sein! Oder leicht angeknackt! Ich jedenfalls fluchte - laut und leise - vor mich hin, mir war nach allem zumute, nur nicht nach Gesang. Das Regencape hatte ich zwischendurch aus lauter Frust schon weggeworfen, nun war ich nass wie eine Katze, die in den Bach gefallen war. Verzweifelt hielt ich Ausschau nach irgendwelchen Unterstellmöglichkeiten, nichts Derartiges war zu sehen. Bäume, gewiss, die gab es zur Genüge. Die jedoch trugen zur Lösung meines Problems nicht das Geringste bei! Ja - und dann - um das Maß der Freude voll zu machen: Das Hinterrad war »platt«! Wie auch immer, ich musste in den sauren Apfel beißen und mit dem zum Glück vorhandenen Flickzeug dem Schaden zu Leibe rücken! Das bedeutete nun: Bei strömendem Regen sämtliches Gepäck abladen, schimpfen, Hinterrad ausbauen, schimpfen, Schlauch flicken, schimpfen, Hinterrad einbauen, schimpfen, Gepäck wieder festzurren. Und dazu weiterhin das weiche Wasser aus Himmelshöhen gratis zum Kühlen.
Langsam kam dann doch eine stoische Ruhe über mich! Sei es, dass meine Energie von der ganzen Meckerei am unteren Ende der Skala angelangt war; sei es, dass mich der Regen so abgekühlt hatte, dass der Rote Bereich schon nicht mehr erkennbar war: Ich konnte über die ganze Situation lächeln. Nicht nur lächeln, nein - ich lachte aus ganzem Herzen über meine Lage! Ich lachte und lachte, sicherlich war es der ganze Frust vorher, der sich nun in dieser Heiterkeit entlud. Und dieses Gelächter schien nicht enden zu wollen und es dauerte sicher eine Viertelstunde lang, bis ich meine Lachmuskeln wieder unter Kontrolle hatte. Dann setzte ich mich wieder auf den Sattel und versuchte dem von vorn kommenden Wind - (der Wind kommt auf dem Rad immer von vorn!) - und dem Regen Paroli zu bieten. Seltsamerweise aber störte es mich keineswegs mehr.
Stunden später erreichte ich eine kleine Ortschaft. Der Dorfgasthof schien mir das Ziel all meiner Wünsche zu sein. Hier wollte ich übernachten, um danach am nächsten Morgen frohgemut in die Pedalen zu treten. Mein Blick fiel auf mein Äusseren. Ich erschrak. Mein Aussehen glich einem Vagabunden, der drei Wochen weder Bett noch Bad gesehen hatte. Regen und Schmutzspritzer hatten das Ihrige getan, um mich so katastrophal aussehen zu lassen.
»LINDENHOF«, dieses wundervolle Schild verhieß mir Erholung und Schlaf. Dann jedoch sah ich in Gedanken einen Wirt vor mir, der mich von oben bis unten mustert und dann abschätzig zu mir sagt: »Ich hab kein Zimmer frei!« Ich fasste all meinen Mut zusammen und betrat die Gaststube. Ein anheimelnder Raum, blitzsauber und einladend. Aus den Nebenzimmern erklang Musik, Tanzmusik, lautes Reden und Gelächter. Der Wirt musterte mich zwar auch, als ich meinen Wunsch nach einem Zimmer vorbrachte. Dann aber sagte er: »Ich hab nur ein Doppelzimmer frei, wenn es recht ist?«
Ich hätte ihn umarmen können. Endlich ausruhen, schlafen. Welch eine paradiesische Aussicht. Natürlich sagte ich sofort zu, holte dann mein Fahrrad und das Gepäck in den Hof um dann als erstes ein ausgiebiges Duschbad zu nehmen und mich umzuziehen. Ein herrliches Abendessen hatte ich mir schon beim Wirt bestellt.
Als ich mich dann später wieder in einen normal aussehenden Menschen verwandelt hatte, betrat ich das Gastzimmer, um mein Abendessen zu genießen. Mein Blick fiel auf die sechs Tische im Gastraum. Es war nirgendwo für mich gedeckt! Ich schaute mich enttäuscht um, der Wirt trat hinzu, sah mein fragendes Gesicht und meinte dann, auf das Nebenzimmer zeigend: »Abendessen gibt es hier nebenan!« Gottlob, doch noch eine Mahlzeit, mein Magen hing schon auf Halbmast.
Trotz des Lärms, der in den unteren Räumen noch herrschte, fiel ich in einen tiefen, erholsamen Schlaf, aus dem ich erst spät am Samstagmorgen erwachte. Das Frühstück später in der Gaststube nahm ich mit den Wirtsleuten gemeinsam ein. Wir redeten noch sehr lange über den gestrigen Abend, meine neugierigen Fragen aber wollten sie mir nicht beantworten.
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