12.5.24

Treffen

 







Gestern traf ich ihn. Zum allerersten Mal. Noch nie hatte ich ihn vorher jemals gesehen, wie sollte ich auch? Ich kannte niemand, der ihn hätte beschreiben können, ich wüsste auch nicht, wer ihn jemals beschrieben hätte. Es sei denn, die Fantasie könnte ein völlig überzeichnetes Bild von ihm in die Welt setzen.

       Dennoch erkannte ich ihn sofort. Woran ich es festmachen konnte, ist mir bis heute nicht eingefallen. Vielleicht waren es die Blicke, die mich in einer intensiven Weise beeindruckten? Solch einen markanten Augenausdruck sah ich noch niemals in meiner  langen Lebenszeit.

       »Hallo«! Eine ausdrucksvoll klingende Baritonstimme verwandelte die Abendstunden in Erlebnisse besonderer Art. Goethes Worte in »Wanderers Nachtlied«, von Franz Schubert vertont, klang leise durch die blaue Nähe. »Hallo!«, Wie kann solch ein Wort klingen als traumhaft?

       Dann stand er vor mir, sagte ganz einfach nur »Hallo!«. Ich blieb einen Moment unruhig stehen und zweifelte ob er es war oder nur eine seltsame ähnliche Erscheinung. Ich überwand meine Scheu, fragte wer er sei und was er hier wollte. Erstaunt schaute er mich daraufhin an; es waren Blicke die bis das Innerste meiner Seele reichten. Ich war verwirrt, wollte noch etwas sagen und konnte es einfach nicht. Ganz sacht schüttelte er seinen Kopf, blickte mich dabei unentwegt an!

       Dann geschah es. Ich verstand plötzlich! Ja! Es war, als öffnete sich dabei ein Fenster der großen Unendlichkeit. Wozu war noch weiteres Wissen nötig? Alles war erklärt, in der Endlosigkeit der himmlischen Weite blieb nichts mehr offen für eine Erklärung. Mir blieb nichts mehr zu tun, als mich zu verabschieden, ich ließ ihn einfach gehen. Warum? Es gibt nichts, was ein Mensch sich selbst sagen kann, was er nicht schon vorher wissen könnte.

 

10.5.24

Recht haben, oder doch nicht?

 


 


In jungen Jahren war ich fest davon überzeugt, immer Recht zu haben. Es war sozusagen meine zweite Natur, und ich fühlte mich wohl in dieser Rolle. Heute weiß ich es besser und es freut mich tatsächlich, zugeben zu können, nicht immer Recht zu haben!

Es ist gar nicht so einfach, diese Erkenntnis zu akzeptieren, das steht fest. Ich beanspruche nicht mehr, immer Recht zu haben. Ich zweifle an dem, was ich glaube, und bin mir meiner eigenen Ideen nicht immer sicher. Ich bin auch bereit, mich überzeugen zu lassen.

Es geht nicht darum, Recht oder Unrecht zu haben, es geht nicht um Stolz oder darum, zu sehen, wer am längeren Hebel sitzt, obwohl manche Menschen nur darauf aus sind, über anderen zu stehen.

Und um dieses Ziel zu erreichen, greifen sie sogar zu kindischen Mitteln. Strategien wie lautes Schreien oder das Verspotten von Personen, die anderer Meinung sind, scheinen für manche das Nonplusultra zu sein!

Ich habe kein Problem damit, jemandem zuzustimmen, der solche Methoden schätzt, wenn es ihn glücklich macht, auch wenn er später nicht weiss, wohin damit. Es kostet nichts, einem Narren zu gefallen und so zu vermeiden, in einem sinnlosen Streit verwickelt zu werden.

Es bringt nichts, ständig Recht zu haben, es ist ein dummer Fetisch, den manche wie Trophäen aus einem Machtkampf tragen, und ihn zu leugnen ist, als würde man einem Kind Süssigkeiten wegnehmen. Niemand muss mir beweisen, wenn ich Recht habe, ich misstraue denen, die es versuchen. Ich bevorzuge ein gutes Gegenargument, das mich zum Nachdenken anregt, anstatt herablassende Unterstützung.

Seit ich mir keine Gedanken mehr darüber mache, ob ich Recht habe, ist mir klar geworden, dass ich viel glücklicher bin! Ich bin nicht mehr verunsichert, wenn andere anders denken als ich, und ich bin auch nicht frustriert, wenn sie das Offensichtliche nicht erkennen können. Ich bin zufrieden damit, zu tun, was ich für richtig halte, auch wenn ich manchmal Unrecht habe. Obwohl ich mich dabei natürlich auch irren könnte, oder?

 

9.5.24

News oder tägliche Nachrichten

 

















 

Wer weiß es nicht - die Liste der instabilen Länder auf unserer Erde ist lang;  

Ägypten, Afghanistan, Nordkorea, Israel, Iran, Irak, Katar, Palästina, Pakistan, Russland, Saudi-Arabien, Ukraine, Sudan,Taiwan, Kolumbien, Venezuela.

Meine Erinnerung reicht nicht aus, um alle aufzuzählen. Es ist nur eine grobe Skizze der Weltkarte, auf der alle fragilen Länder in roter Farbe markiert sind. Die Welt scheint zu brodeln, als stünde sie in Flammen. Die Köche, die das Menü vorbereiten, wählen sorgfältig die Zutaten aus, um die Geschmäcker ihrer Zwangsgäste zu befriedigen.

Beim Lesen der Zeitung habe ich das Gefühl, dass der Globus in einem Schnellkochtopf auf dem Herd steht und die Temperatur kontinuierlich steigt.

Von den 195 Ländern auf der Erde sind nur 66 Demokratien - kaum zu glauben, nicht wahr? Aber dennoch wahre Tatsache.

Hier bei uns läuft noch alles relativ normal, oder? Die Geburtenrate in Deutschland erreicht zwar ein historisches Tief, nun, das ist ein Fakt, der zum Nachdenken anregt. Aber die Schlagzeilen in den Medien: Das sind die täglichen Schreckensnachrichten aus den unzähligen Kriegsgebieten und dem üblichen nationalen parteipolitischen Gerangel.

Manchmal erinnere ich mich vage an die 80er Jahre, an den Kalten Krieg - ist das die Zukunft? Es fehlt mir sogar die Lust zu lächeln. Die Menschheit ist eine ständige Bedrohung für sich selbst, aber auch ihre einzige Hoffnung.

Gott wird hier nicht erwähnt, obwohl er aus einer bestimmten Perspektive bestimmt sehr vermisst wird.

 

 

7.5.24

8.Mai 1945 und die weiteren Tage

 


 










Flüchtlinge - Elend und Verzweiflung unserer Zeiten! Zu allen Zeiten wurden die Menschen durch Ereignisse wie Krieg, Hungersnöte oder Wetterkatastrophen aus ihrer Heimat, ihrem angestammten Wohnsitz vertrieben. Das war schon in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges so. und später in den zahllosen Kriegen, die diese Menschheit über sich selbst brachte.

       So war es auch zu jener Zeit, 1945, als die grösste Katastrophe unseres Landes beendet werden konnte. Wenige Wochen vorher wurden noch Tausende von Zivilisten durch anglo-amerikanische Fliegerangriffe getötet! Es ist keine Erfindung der Neuzeit!
Ich erinnere mich an diese Zeit vor genau 79 Jahren so, als wäre es gestern gewesen!

Vergessen lassen solche dramatischen Zustände sich wahrscheinlich niemals. Damals strömten 14 Millionen »Rucksackdeutsche, Polacken und verlaustes Gesindel« aus den abgetrennten deutschen Gebieten in den Rest des Landes. Diese Menschen wurden im Westen zwar aufgenommen, aber niemals wirklich willkommen geheissen. Viele hätten sie am liebsten sofort zurückgeschickt.

       Im Jahr 1945 mussten auch wir unsere Heimat verlassen, nicht aus freien Stücken, und nur mit dem Nötigsten im Gepäck. Meine kleine Familie hatte nur das, was sie am Leib trug, dazu drei Löffel, ein Handtuch und ein Stück Seife. Das war der bescheidene Beginn eines neuen Lebens, das heute oft als "Neuanfang" bezeichnet wird.

      Leider herrscht immer noch weitgehende Unkenntnis über die Bedeutung und das Ausmass dessen, was sich nach 1945 ereignet hat. Es fehlt auch das Bewusstsein dafür, welchen Platz diese Erfahrungen in unserem kollektiven Gedächtnis einnehmen sollten.       Man fragt sich manchmal, wo die Erlebnisse der Menschen von damals geblieben sind. Finden sie Eingang in Schulbücher? Vielleicht in Romanen, geschrieben von Menschen, die die damaligen Dramen nur vom Hörensagen kennen? Doch all das kann nur eine oberflächliche Darstellung dessen sein, was damals wirklich geschah. Ignoranz und Feindseligkeit waren nur ein Teil des Leids, dem die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge damals ausgesetzt waren. Woher kam diese Ablehnung?

   Die Gesellschaft der Nachkriegszeit war eine »Zusammenbruchgesellschaft«. Das Einzige, was die Menschen einte, war die Erfahrung einer totalen Niederlage. Die Bereitschaft, denen zu helfen, denen es noch schlechter ging, war daher sehr gering. Nicht zu vergessen, dass zwölf Jahre Nazi-Propaganda ihre Spuren hinterlassen hatten. Die Menschen waren immer wieder mit dem Negativbild des »slawischen Untermenschen« aus dem Osten konfrontiert worden.

    Diese Vorstellungen verschwanden ja nicht einfach nach Kriegsende! Im Jahr 1946 äusserte der Landrat von Flensburg: »Der Niederdeutsche sei gegen die Mulattenzucht, die der Ostpreusse nun einmal im Völkergemisch betrieben hat.«

       Es ist offensichtlich, dass die Flüchtlinge auch nach dem Zweiten Weltkrieg Opfer der Naziideologie wurden. Es herrschte zweifellos ein handfester Rassismus! Die Aufnahme der Flüchtlinge verlief nirgendwo reibungslos, selbst wenn es sich um Deutsche handelte. Für die Einheimischen fühlte es sich gefühlsmässig wirklich anders an.

       Die Flüchtlinge und Vertriebenen kamen oft aus Lagern, hatten Gewalt erlebt und waren in einem erbärmlichen Zustand, als sie ankamen. Damit entsprachen sie vielfach dem Klischee, das der einheimischen Bevölkerung früher vermittelt worden war. Fremdenfeindlichkeit war definitiv vorhanden.

     Erinnert uns das nicht an viele Ereignisse jüngerer Vergangenheit? Zum Beispiel ein Herr Fischbacher, Mitbegründer der Bayern-Partei, der Ostermontag 1947 in Traunstein erklärte: »Flüchtlinge müssen hinausgeworfen werden, und die Bauern müssen dabei tatkräftig mithelfen.« Er bezeichnete es als »Blutschande«, wenn ein »Bauernsohn eine norddeutsche Blondine heiratet«!

     Solche hässlichen Äusserungen fanden sich auch in der Redaktion des »Spiegels«, dessen erste Ausgabe gerade erschienen war. Leider blieb diese Hassrede kein Einzelfall. Landtagspräsident Michael Horlacher, Mitbegründer der CSU, betonte, dass Bayern den Bayern gehören müsse. Andreas Schachner von der Bayernpartei beschwerte sich darüber, dass sich so viele Fremde an den bayerischen Futterkrippen bedienten, »dass Pogrome nötig wären, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen«.

       Es mag so aussehen, als würde ich hier nur negative Beispiele anführen wollen, aber mein Ziel ist es, zu verdeutlichen, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht nur ein Phänomen unserer Zeit sind, sondern schon immer präsent waren. Unsere »Geschwister« aus den neuen Bundesländern wissen davon ein Lied zu singen. Zum Glück ist es heute nicht mehr so offensichtlich wie 1945, als Schilder mit der Aufschrift »Flüchtlinge unerwünscht« an den Strassen standen.

Es ist nun mal so: »Willkommen« gilt immer nur für eine relativ kurze Zeit, dann schlägt die Stimmung oft genau in die entgegengesetzte Richtung um.

 

6.5.24

Der Fremde

 

Eine Kurzgeschichte von H.C.G.Lux

 










»Guten Abend!« Richard schreckt aus seinen Gedanken auf, hatte sich doch regelrecht in diesen regnerischen dunklen Abend verkrochen und wartete auf das Ende dieser nassen Tagesepisode. Die sonore Stimme eines Mannes reisst ihn urplötzlich aus seinem Wachtraum. Wie? Was? Woher kam der Mann plötzlich? Meint er etwa ihn? Er schaut mit seinen dunklen Augen prüfend zu ihm herüber. Sein auffallend eleganter Mantel passt irgendwie nicht in diese Straße, gehört einfach nicht in diese graue Welt, deren Farben der Sonnenuntergang mit sich genommen hat. 

   Er schaut zu dem Fremden hinüber, der auch unter dem kleinen Vorbau des Hauses Schutz vor dem Regen gesucht hat. Nickt ihm dann zu, stumm und fast regungslos,

  Ein blauer Linienbus schleicht fast unhörbar heran und bleibt in der Haltebucht stehen, misstrauisch blickt der Fahrer durch die schmutzverschmierten Scheiben herüber. Niemand steigt aus. Mit leisem Surren fährt der Elektrobus wieder an. Der Fremde hat sich inzwischen in die überdachte Eingangstür der Herrenboutique gestellt. Durch das Eck-Schaufenster erkennt Richie, dass er seinen Mantelkragen hochstellt. Wartet der nun auf einen anderen Bus?

  Währenddessen prasselt der Regen unaufhörlich auf das Pflaster des Gehwegs, spritzt an den Hauswänden hoch und überzieht staubgepaart das Ganze mit einem Schleier. Richie drückt sich dicht an das Schaufenster dieses Ladens, der schmale Überstand gibt ihm wenig Schutz, kann auch nicht verhindern, dass Schuhe und Hose triefend nass sind. Seine Blicke verlieren sich im dichten Grau des nächtlichen Regens, Laternen spiegeln sich im Nass der Straße, der Regen wirft winzig kleine Fontänen vom Asphalt zurück.

  Fröstelnd versucht er sich in seine dünne Jacke zu verkriechen. Unangenehm, dieses nasse und kalte Märzwetter. Besonders für einen Menschen, der kein Zuhause hat und nicht weiß, wo er diese Nacht verbringen soll. Todmüde, könnte er vor Müdigkeit umfallen.

    »Kommt der 32er noch?« Der Fremde schreit die Worte fast zu ihm herüber. Richie fährt zusammen, hatte den Mann schon nicht mehr beachtet. Zuckt dann mit den Achseln; er weiß noch nicht einmal, ob dieses unsichere Zeichen in dem Zwielicht überhaupt sichtbar ist.

       Er überlegt. Der 32er Linienbus? Der fährt hier überhaupt nicht, hat hier in diesem Stadtteil nie gefahren, ja, er weiß mit Gewissheit, dass es in der ganzen Stadt überhaupt keine 32er Linie gibt! Schon sehr seltsam. Der Mann im Trenchcoat schaut auf seine Armbanduhr.

     Richies Blick wird starr. Wie er erkennen kann, ist da gar keine Uhr, der blickt nur auf seinen Unterarm! »Ist schon fast Mitternacht«, meint der Mann danach, »wo bleibt denn nur der Bus?« Da Ritchie den Fremden nun doch etwas intensiver ansieht, erkennt er, dass der doch nicht so jung ist, wie er vorher schien! Ihm fällt ein steinaltes Gesicht auf, mit modernem Hut, eingerahmt von Schal und dem modernen Trenchcoat. Wieso hatte er diese ledernen Falten seines Antlitzes vorhin nicht bemerkt?

    Der Mann schaut ihn nun voll an. Seinem Blick auszuweichen scheint fast unmöglich. Ein Schauer läuft Richie über den ganzen Körper; trotz der unangenehmen Kälte des Abends wird ihm unwirklich heiß! Was geschieht hier? Woher kommt dieses Gefühl unangenehmer Vertrautheit zu diesem Menschen? Er bemüht sich, in eine andere Richtung zu sehen, rollt seinen Kopf hin und her, um einer Verspannung der Halsmuskeln vorzubeugen. Irgendwo bellt aufgeregt ein Hund. Er mag es nicht, wenn Hunde nachts bellen. 

    »Haben Sie Feuer?« fragt der Mann. Hat nun ein Zigarettenetui in der Hand, lässt es einladend aufspringen. »Nein«! Die Stimme Richards klingt rau, bleibt fast im Halse stecken, »bin Nichtraucher.« Es sind seine ersten Worte, die heute Abend aus seinem Munde kommen. »Naja, ist ja auch gesünder«, meint der Andere dann mit einem kurzen Blick zu ihm, dann lacht er trocken auf, lässt das Etui wieder verschwinden, schaut wieder auf seine nicht vorhandene Armbanduhr!

  Der Regen fällt mit einer Intensität, wie Richie es lange nicht mehr erlebt hat, es erscheint jedenfalls so. Ihm ist elend zu Mute, er friert, ist durchnässt, todmüde und möchte eigentlich schlafen, unentwegt nur schlafen. Angestrengt überlegt er, wo er einigermaßen trocken unterschlüpfen könnte, ihm fällt ein, dass hier irgendwo in dieser Gegend eine Kleingartenkolonie sein müsste. Da könnte sich doch ein geschütztes Plätzchen finden lassen? Aber bis dorthin wäre er total durchnässt, wie zum Teufel, trocknet das dann wieder?

  Richie schaut den Mann gegenüber an. Der hat es gut, irgendwo steht für ihn ein warmes Bett, eine schmackhafte Mahlzeit, vielleicht ein Mensch, der sich Sorgen macht, der auf ihn wartet. Und wieder fragt er sich, was dieser Mann hier treibt. Warum er hier in dieser kalten regnerischen Nacht an einer Bushaltestelle steht und auf einen Bus wartet, der hier gar nicht fährt? »Kann ich Ihnen behilflich sein?«  Richie schreckt aus seinen Gedanken auf, sieht den Frager verständnislos an. »Es sieht so aus, als wenn Sie meine Hilfe brauchen«, meint der Fremde dann, »ich kann sicher etwas für Sie tun!«

    »Für mich tun? Sie?« Er ringt sich ein kurzes Lachen ab. Ein bitteres Lachen, tief aus der Seele heraus, aus einem Untergrund, der verschüttet ist. »Ganz gewiss nicht Sie! Sie sollten mich in Ruhe lassen.«

    Indem er sich um die Ecke des Schaufensters beugt, schaut der Mann ihn prüfend an, sagt er dann eindringlich: »Da bin ich mir nicht so sicher! Meine Möglichkeiten sind unendlich - und meine Beziehungen reichen sehr weit!«

    








Er zieht eine Visitenkarte aus seiner Manteltasche und reicht sie dem jungen Mann mit gestrecktem Arm herüber. Mit klammen Fingern ergreift der die Karte, versucht im Halblicht der Schaufensterbeleuchtung den Namen zu entziffern: 

»Lucas- Beratungsdienste«, steht dort, dann noch: »Your time is limited!«¹

      Das steht dort in silbernen Schriftzügen. Beratungsdienst? Welcher Art - was ist das? Ein Service, der sich nachts an Bushaltestellen herumtreibt und vagabundierende Menschen anspricht? Der auf ihn, auf den Gesichtslosen, den vom Leben Geprügelten wartet?

  Der Regen prasselt weiter auf das Pflaster der Straße. »Trotzdem werde ich jetzt fortgehen«, denkt Richie, »Die Sache nimmt beklemmende Ausmaße an. Ich habe es nicht so gern, wenn ich eine Sachlage nicht überschauen kann, das schafft in mir stets ein ungutes Gefühl, erzeugt einen Ring um die Brust, der mir den Atem nimmt«.

    Als ahne der Fremde seine Gedanken, lächelt er ihn in einer Weise an, die Richie richtiggehend aggressiv macht, als er ihm dann noch einladend zunickt und dies noch mit einer Bewegung seiner Hände unterstreicht, explodiert er! Mit unnatürlich lauten Worten, die aus seinem tiefsten Inneren hervorbrechen, versucht er ihm klarzumachen, dass er seine wie auch immer geartete Hilfe nicht haben will: »Las-sen- Sie -mich- in- Ru-he! Ich- brau-che- Sie- nicht!« Darauf antwortet der Andere nicht mehr.

  Richie schlägt seine durchnässte Jacke enger um sich, ergreift den am Boden stehenden feuchten Rucksack und rennt wie gehetzt über die Straße. Kein Blick mehr zurück, nein, der soll nicht denken, dass er Furcht vor ihm hätte. Er hat keine Angst, er hat bestimmt keine Angst, wäre auch stark genug gewesen, um es mit ihm aufzunehmen! Der Fremde ruft Richie etwas hinterher, es klingt ähnlich wie:  »Your time is limited!«
    Der Regen peitscht Richard ins Gesicht, und weil er mit diesen Auswirkungen des Unwetters zu kämpfen hat, nimmt er ihm auch noch das Denken ab. Er hat vollauf damit zu tun, die böigen Wassergüsse von seinem Gesicht fernzuhalten. Nachdem er in der Dunkelheit mitten in eine gewaltige Pfütze tritt, steht er urplötzlich vor dem Tor der Kleingartenanlage. Glücklicherweise ist es nicht verschlossen.

    In der Dunkelheit tastet er sich an der Hecke des Wegs entlang, findet ein niedriges Gartentor und klettert mühsam darüber hinweg, irgendwelche Steinplatten weisen den Weg zu einer Laube im hinteren Teil des Gartens. Es riecht stark nach Zwiebeln, nach reifem Grünkohl und nach feuchter Erde.

     Die Gartenlaube erscheint ihm größer, als sie von weitem schien. Die beiden vorderen Fenster sind mit Läden gesichert, zur dazwischen liegenden Tür führen zwei Stufen hinauf, vorsichtig betritt er diese nassen, schlüpfrigen Holzbohlen. Tastet sich dann vorwärts und ist dann bass erstaunt! Die Tür ist nicht verschlossen! Die Tür zur Laube ist nur angelehnt, das war sicher nicht zu erwarten, ganz gewiss nicht.

     Richie hatte vor, sich unter dem Vorbau ein wenig vor dem Regen zu schützen. Nun aber kann er doch bis zum Morgen ein wenig Trockenheit genießen. Ein winziges Stückchen Glücksgefühl durchströmt sein Herz. Wie wenig ist doch zum Glück nötig, wenn man am Rande der Gesellschaft lebt!

    Mit einem beglückenden Gefühl betritt er den dunklen Raum der Gartenlaube, schließt die Tür hinter sich, um etwas Wärme zu spüren. Er sieht fast nichts, tastet sich weiter in den Raum hinein. Stösst an einen Stuhl, der polternd umfällt, dann ertastet er einen runden Gartentisch, legt seinen Rucksack ab, hebt den umgestürzten Stuhl auf und lässt sich mit einem tiefen Seufzer nieder. Springt im gleichen Augenblick wieder auf, als eine bekannte Stimme im Hintergrund sagt:

»Hallo, your time is limited!«

 (¹Deine Zeit ist begrenzt....)

3.5.24

»Brot und Spiele«

 















Als der römische Satiriker Juvenal vor 2000 Jahren den bekannten Satz »panem et circenses« unter die Leute brachte, war das Leben für den Großteil der Bevölkerung anscheinend so langweilig geworden, dass man ständig neue Abwechslungen brauchte. Nicht jeder hatte Arbeit, die meisten Tätigkeiten wurden ja von Sklaven erledigt, was also tat der römische Adel den ganzen Tag?

     Man begann unter anderem über den Sinn des Lebens nachzudenken, zu philosophieren! Auch über den Staat, über seine Lenker, die Götter, und die Notwendigkeit des Lebens an sich. Die Werke etlicher großer Philosophen wie Seneca und Cicero im 1.Jh.n.Chr. geben bis heute noch Zeugnis ihres Wirkens an uns ab.

      Das gemeine Volk allerdings musste beschäftigt werden, und so waren die »circenses« das probate Mittel, um das Volk bei Laune zu halten. Gladiatorenkämpfe spielten eine große Rolle in diesen Cirquen, Kämpfe untereinander oder auch gegen wilde Tiere waren beim Plebs beliebt, die Hauptsache war, man konnte etwas sehen, miterleben, das die Nerven aufpeitschte! Wie heute auch!

      Juvenal, der Satiriker, brachte es damals mit aller Deutlichkeit genau auf den Punkt: "qui dabat olim // imperium, fasces, legiones, omnia, nunc se // continet atque duas tantum res anxius optat, // panem et circenses."
(Einst bestimmte es (das römische Volk) über alles, die Herrschaft, die Ämter und die Legionen. Doch nun wünscht sich das Volk, um zufrieden zu sein, nur noch zwei Dinge: Brot und Spiele.)

    Wie sich die Bilder 2000 Jahre später doch gleichen. Nichts ist unseren Bürgern wichtiger als eine Fußball-WM, nichts reizt den Nerv mehr als ein Formel-1 Rennen oder die olympischen Spiele. Die Medien hätten ohne diese Events weniger zu bieten.

     Ergo: Die Gladiatoren von heute sind nichts anderes als die damaligen. Der Unterschied liegt nur in den Verdienstmöglichkeiten! Seinerzeit lockte als Hauptgewinn sozusagen die Freiheit von der Sklaverei. Heute sind es die Millionen Euro oder Dollar, die unsere Gladiatoren in die Abhängigkeit von »Sport-Aktiengesellschaften« bringen - anstelle von Gladiatoren-Schulen - und sie reißen sich darum, dort auch mitzumischen!

 "Difficile est saturam non scribere" meinte Juvenal in einer weiteren Satire. (Da fällt es schwer, keine Satire zu schreiben)

     Nun, liebe Freunde, die nächsten Spiele sind schon wieder angesagt: 
Nächste Fussball-EM in Germany, vielleicht mal ausnahmsweise etwas Normales? 
Olympia mit riesigem Tam-Tam in Paris. 
Winter-Olympiade 2050 gar in Antarctica? Würde sich ja anbieten. 
CocaCola bewirbt sich bestimmt schon um die Banditen-Werbung! 
(Verzeihung, ich meinte natürlich BANDEN-Werbung.)
    Na, ich schliesse lieber meinen Sermon, sonst werde ich noch nach alter Sitte verbannt ...

 

1.5.24

Nun ist er da!

 


 













Wer? Natürlich der Mai. Mit wundervollem Wetter, Frühlingsduft in allen Gärten, auf allen Balkonen. Der Mensch blüht ebenfalls auf, wie alle Blumen ringsherum. Ich bin vollauf begeistert, wie fröhlich die Menschen erscheinen.

Und der miesepetrige April hat das Weite gesucht. Ist mit Sack (Nebel) und Pack (Regen und Schnee) ohne seine Hinterlassenschaft verschwunden.

Natürlich, mit einigen müden »Fisimatenten« versuchte er ja noch, uns den Frühling zu vermiesen. (musste er wahrscheinlich von Amts wegen) mit irgendwelchen Aktionen in allen Harz-Orten liess man die sogenannte Tradition hochleben. Kläglicher Versuch übrigens, ging meist voll daneben, nur einige ganz Verwegene feierten diese »Walpurgis-Spinnereien« mit. (Es gibt ja nix, was man nicht feiern kann …)

Bei mir bleibt noch eine bittere Frage offen:

Wie kann man das Elend und die Not der etwa 10.000 Frauen und Männer feiern, die bei dem sogenannten »Hexenglauben« unschuldig ihr Leben einbüssten?

Müssen wir noch lange warten, bis wir den Hamas-Überfall auf Israel oder den »Putinschen Feldzug« als Freiheitskampf feiern dürfen?

Ich frag ja nur ...

28.4.24

Carpe Diem

 
















 


Till Eulenspiegel in Mölln


Leise klopft der Regen gegen das Fenster. Die eigene Einsamkeit zählt ihre Sekunden, langsam klopft auch der Sekundenzeiger die Zeit weg. Tick-Tack-Tick-Tack. Ist jemand bereit, sie aufzuhalten? Niemand kann die Zeit anhalten. Warum sie nicht einfach stoppen? Halt, und jetzt bitte rückwärts?

       Aber die Zeit vergeht. Langsam, schnell, je nachdem, wie man es fühlt. Wie man sich fühlt. Wartest du, werden die Sekunden zu Stunden. Befindest du dich mitten in einem Ablauf, werden Stunden zu Sekunden. Die Zeit vergeht, Zeit, die wir niemals wieder zurückbekommen. Vorbei, vergangen, ausgelöscht? Was bleibt von dieser Zeit? Nur Gedanken, Erinnerungen? Zeit, welch ein wunderbares Wort ist dieser Substantiv! Wie viel Erwartung liegt darin, welche Hoffnung vermittelt dieser Ausdruck für das Leben.

       Wir möchten viel Zeit haben! Ist so etwas nicht ein gewaltiger Moment des Glücks? Das bedeutet doch: Ich muss mich nicht beeilen, ich kann alles in der Form machen, in der Ruhe fertig bringen, wie ich es für richtig halte? Ich habe Zeit! Ich habe Glück, denn ich habe Zeit, Unmengen von Zeit! Aber welch eine Drohung kann dieses Wort »Zeit« beinhalten. Vier Buchstaben, die Angst machen, die das Herz schneller schlagen lassen:

    Ich habe keine Zeit mehr! Spürst du die Eiseskälte, die dahinter steckt? Wie eine stählerne Wand steht dieser direkte Ausdruck vor dir, hinter dir. Überall ist sie im Raum vorhanden. Das Schlimmste dabei: Du kannst ihr nicht ausweichen, diese Drohung lässt dich einfach nicht mehr aus ihren Fängen! »Ich habe keine Zeit mehr«.

       Da drängt dich jemand zu etwas, das du im Grunde deines Herzens gar nicht willst. Du möchtest die Hände in den Schoss legen, aber jemand verhindert das. Warum? Weil du keine Zeit mehr hast? Vielleicht hast du sie ja vertrieben, durch irgendeinen »Zeitvertreib«? Und nun ist sie weg, deine Zeit.

       Nein, nein, noch ist sie da, du hast noch genügend Platz, hast noch Spielraum, um sie zu würdigen, deine Zeit! Nütze sie. Die Zeit, die wir bekommen haben, ist unsere Zeit. Unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft! Alles im Leben wird von unserer Zeit abgezogen. Jede Sekunde, Minute, Stunde. Deshalb ist es so wichtig, diese Augenblicke zurück zu verfolgen, weil sie zu unserer Zeit gehören, diese Gedanken und Erinnerungen.

       Sie ist vergangen, kommt nie mehr zurück, aber wir können uns daran erinnern, an diese Zeit! Auch wenn ich darüber schreibe, ist dies nur ein Tropfen, der auf einem heißen Stein sofort wieder verdampft. Und dennoch: Wir sollten behutsam mit unserer Zeit umgehen, denn mehr als wir heute haben, werden wir nie wieder bekommen!

27.4.24

Zurück zum Anfang?

 





















Wer hat nicht schon von der Zeit geschwärmt, als Heimat noch ein Begriff war, den man ohne Einschränkung als sein eigenes Paradies ansehen konnte? Doch dieser Ort der Träume, zu dem man gern zurückkehren möchte, existiert nicht, weil man selbst nicht mehr derselbe ist, der man einmal war. Das, was man Normalität nennt, ist letztlich nur eine Erinnerung, vielleicht sogar nur eine Utopie.

        Es kann nicht darum gehen, einfach zurück zu wandern in heimliche Sphären kindlicher Illusionen, sondern etwas Neues zu beginnen. Die Erinnerung an gestern wird nur noch mehr Verletzungen erzeugen. Die Zukunft kann nicht darin bestehen, in die Vergangenheit zurückzukehren. Jeder Versuch, dorthin zurückzukehren, kann nur ein Hirngespinst sein

      Wer darauf beharren will, das Leben so weiterzuführen, wie man es früher kannte,begeht einen Fehler, der aus Naivität entsteht. Niemand kann jemals versuchen, dorthin zurückzukehren, wo man in früheren Tagen glücklich war.

      Es wird stets diejenigen geben, die nicht mehr da sind, oder diejenigen, die sich so sehr verändert haben, dass man sie nicht wiedererkennt. Dann sieht man noch die Menschen, die zunächst so tun, als würden sie sich freuen, einen für eine Weile zu sehen, und diejenigen, die einen vergessen haben, ohne sich gross anstrengen zu müssen.

    Aber es spielt keine Rolle, dass dieser Ort nicht mehr derselbe ist, oder dass es fast niemanden mehr von früher gibt, oder dass er sich verändert hat. Ich möchte einfach nicht zur Normalität zurückkehren; ich möchte in einem neuem Zuhause leben, in dem ich mich wohlfühlen kann, umgeben von den Menschen, die mich begleitet haben, von denen, die ohne Ansprüche auf mich gewartet haben.

        Ich werde dort auch auf dich warten, lieber Mitmensch, der du dies liest. Denn wenn du verstehst, dass ein Weg in das »früher« nicht die Lösung für Probleme sein kann, bist du des vollkommenen Lebens ein Stückchen näher gerückt!

 

25.4.24

Auch mal schweigen?

 











 

Nicht alle Dinge in der Welt sind so ernst, wie wir sie auffassen. Die Welt wäre besser, wenn wir etwas mehr Sinn für Humor hätten. Überall sieht man nur verkrampft dreinblickende Menschen auf der Strasse, fast nie ein Lächeln, kaum ein paar nette Worte, selten ein Dankeschön. Glauben wir denn, dass das, was wir tun, überaus wichtig ist? Dass die Ordnung des Universums davon abhängt, dass wir unsere Tätigkeit gewissenhaft erfüllen? Dass alles warten kann, bis wir getan haben, was wir sollten?

        Wir sorgen uns darum, dass alles schriftlich festgehalten wird, wir versuchen, andere mit unserer Genauigkeit zu beeindrucken. Leider vernachlässigen wir dann auf alarmierende Weise unsere Zuneigungen, menschlichen Beziehungen und täglichen Freuden im Austausch für ein gutes finanzielles Einkommen.

        Prahlen wir nicht gern mit unseren Verdiensten, die uns das Gefühl geben, so unendlich wichtig zu sein? Im Geheimen verachten wir doch diejenigen, die durch unproduktive Beschäftigungen abgelenkt werden, blicken dann auf diejenigen herab, die uns nicht ebenbürtig sind, weil sie ihre Zeit mit flüchtigen Vergnügungen verschwenden! Oder auf diejenigen, die das Leben nehmen, als wäre es ein Spiel, ohne zu wissen, dass es die Wirklichkeit ist.

        Wer begründet seine eigene Einstellung zum Leben mit einer Formel, die kein Klischee ist? Es scheint mir, dass alles, was wir selbst tun, richtig zu sein scheint. Gibt es denn keinen Menschen, der mir eine Faustregel an die Hand gibt, mit der ich den rechten Blickwinkel sehen kann? Anscheinend ist es nicht realisierbar, weil jeweils die eigene Meinung wichtig erscheint.

         So ist es im Grunde völlig gleich, ob ich etwas zu einem Thema sage oder schweige! Irgendjemand hat wiederum seine Meinung dazu, ob nun diese richtig ist, weiss nun ebenfalls keiner. Bleibt der Gedanke, dass es völlig gleich ist, ob richtig oder falsch: Ob reale Wirklichkeit oder Fake-News:

 »Cogito ergo sum.« sagte einst
René Descartes
 (1556-1650)

Ich denke. Also bin ich!

Das aber ist immer richtig, denke ich jedenfalls!

 

Treffen

  Gestern traf ich ihn. Zum allerersten Mal. Noch nie hatte ich ihn vorher jemals gesehen, wie sollte ich auch? Ich kannte niemand, der ihn...