10.4.24

Wer war denn dieser Angelo?

 

 


















Einige Jahre her, in der CORONA-Zeit.

Da steht er nun. Schaut mich treuherzig mit wasserblauen Augen an. Sein verwilderter grauer Vollbart lässt ihn nicht unbedingt vertrauenerweckend aussehen. Der uralte schmutzig-graue Mantel reicht fast bis auf die  Stiefel, die anscheinend völlig neu sind. Über die Schulter gehängt, ein abgeschabter Rucksack; Kordeln ersetzen die Riemen, die ursprünglich vorhanden waren. Sicher enthält er die Habseligkeiten des Mannes. Seine Hände mit den schwarzen Rändern unter den Fingernägeln stecken in alten Fahrradhandschuhen.

Als er heute an diesem regnerischen Abend am Bahnhof schnurgerade auf mich zukommt, will ich eigentlich schnell verschwinden. Hab ich doch selbst genügend Probleme, muss ich mich noch mit denen anderer Menschen befassen? Aber wie auch immer - ich bin wie gelähmt, etwas in mir weigert sich, meinen Gedankengängen zu folgen.

Unruhig drehen die Finger des alten Mannes an einer Schnur seines Rucksacks. Er schaute mich nur sekundenschnell an, dann irren seine Blicke wieder über den Bahnhofsvorplatz, der im spiegelnden Glanz der bunten Lichter ein werbewirksames Abbild der Osterzeit  darstellte. Der Mann reißt plötzlich seine zerschlissene Baseballkappe vom Kopf und spricht mich leise an.
»Entschuldigen Sie«, sagt er in einer warmen Tonlage, die mich irritiert, »Haben Sie vielleicht eine Maske für mich?«

Ich bin so verwirrt, dass ich zunächst nichts erwidern kann, »Verzeihen Sie«, sagt er dann, »Ich wollte Sie nicht belästigen.« Damit dreht er sich um und will weitergehen.

»Nein, warten Sie«, rufe ich, »So ist das nicht gemeint. ich bin nur überrascht!« Ich lächele ihn an. »Ich habe solch einen Wunsch natürlich nicht erwartet, normalerweise ... «

»Ja, ich weiß, es käme wohl die uralte Frage eines ›Berbers: ›Haste mal ´nen Euro?‹ - nicht wahr?« Ich nicke beschämt.

»Hm- so ähnlich wohl. Ist ja auch ungewöhnlich, meinen Sie nicht auch?«

Er schmunzelt. »Ich denke, das ist heute schon normal, oder?« Ich nicke, krame dann in meiner Umhängetasche, ich muss doch noch einige Einmal-Masken bei mir haben. Tatsächlich, da ist noch solch ein Fünfer-Päckchen, ich reiche sie dem Mann zusammen mit einem 10-Euro-Schein. Er ergreift diese kleine Gabe, meint dann, indem er mich mit einem langen Blick ansieht: »Ich habe nicht um Geld gebeten, aber danke trotzdem! Aber ich muss Ihnen noch sagen, wozu ich die Maske brauche! Ich kann einen Bäckerladen nicht ohne Maske betreten. Das ist genauso bitter, als wenn ich kein Geld habe!« 

Er zuckt mit den Schultern. Dann jedoch strahlt er mich an: »Angelo wünscht Ihnen und Ihrer Familie frohe Ostertage!« Er verneigt sich leicht vor mir - ein ungewohntes Bild, wie einem Märchenbuch entsprungen, es fehlt nur das Glitzern der Reklame. Dann fragte er leise, aber eindringlich: »Kann ICH etwas für SIE tun?«

Ich weiß keine Antwort darauf. Dann ein Wink mit seiner freien Hand - und ebenso plötzlich, wie er erschienen ist, taucht er in der Menge der Passanten auf dem Bahnhofsvorplatz unter.

Lange sinniere ich noch über diese Begegnung. Wer war bloß dieser Angelo?

 

4 Kommentare:

  1. Ja, wer ist Angelo? Das werden wir wohl nie erfahren aber er ist mir sympathisch und ich wünsche ihm und natürlich dir auch alles Gute und weiterhin so SINN-ige Erzählungen...LG Ulla

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  2. Danke! Ich hab da meine Ahnungen, aber - na ja, wer weiss schon alles?

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  3. irgendwie märchenhaft lieber Horst so mutet michdeine kleine Geschichte an..
    er kann..
    ein Weiser sein...( und du weisst wie ich das meine..)
    auch nur ein gestrauchelter der eine warme Mahlzeit sucht..
    ein Engel der seine Harfe verloren hat..
    er kann du selbst sein..
    ein Jünger Christi
    eine Wunschgestalt
    einer der sein Gedächtnis verloren hat
    oder einfach nur ein Mensch der keine Heimat mehr hat..
    das Äußere liesse vieles vermuten...
    dazu diese Frage :::kann ich etwas für Sie tun.."
    der Phantasie setzt man keine Grenzen..

    welche Ahnung bewegt dich dazu?
    herzlich angel

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    1. Nach meiner Intuition ist jeder Mensch ein Teil des Ganzen. Und nach einem Gedicht von mir:
      »was ich mache, was ich tu
      ich bin auch du«
      scheint in uns allen ein Stück Engel UND Teufelchen zu stecken!
      Nehmen wir immer ein Stück von jedem mit, dann bleibt der Mensch in uns zurück, der wir wirklich sind!
      Ein seltsames Stück "Erfahrung", aber nachvollziehbar?
      Ein Freitagmorgengruß

      von Horst

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[B]Danke, bis bald [b/]

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