12.4.24

Die Schubladen

 


 












Da steht er nun. Ein alter Sekretär, relativ antik, buchenlook, mehrfach aufgearbeitet. Ein ganz tolles Möbelstück, bestimmt älter als ich selbst. Ich sah ihn damals einsam an der Strasse stehen, auf den Sperrmüll wartend. Es liess mir keine Ruhe, ich musste ihn einfach haben und nun steht er bei mir in der Diele. Jeden Morgen strahlt er mich an, es ist einfach eine Freude, diese alte Kommode zu sehen, ich vermute manches mal, dass dieser Sekretär sich genau so freut, wenn er mich sieht.

Das Interessanteste an ihm sind die vielen Schubladen. Es sind zwölf an der Zahl, acht kleine und vier grosse. Anfangs dachte ich im Stillen daran, dass dort irgendwelche Fundstücke zu entdecken wären, leider wurde ich da enttäuscht. Ausser einigen alten Zeitungen von 1934, die dort als Bodenbelag dienten, gab es nichts zu entdecken. Aber auch diese erzählten mir sehr viel über die Zeit, als ich noch als Baby in der buchstäblichen Wiege auf meine Zukunft wartete.

Schubladen wecken stets in mir ein kindliches Bedürfnis, irgendwelche Geheimnisse zu erforschen. Wo aber fange ich hier an? Welche Schublade öffne ich zuerst? Sie sehen alle so ähnlich aus. Nehme ich die erste oder die letzte? Nehme ich die letzte, wird sie die die erste sein. Wenn ich aber die erste nehme, bleibt alles beim alten. Ich könnte natürlich auch die vierte oder sechste nehmen - aber, von woher zähle ich jetzt, von links oder von rechts? Ist das jetzt ein Schritt zur Weisheit? Gibt es die weise Erkenntnis in der Mitte oder eher an den Seiten? Es ist schon so, eine unbekannte Schublade zu öffnen bleibt schon ein Erlebnis.

Ich könnte die kleine dort ganz am Ende zuerst öffnen. Ist das vielleicht die Schublade der Vergangenheit? Die wollte ich eigentlich gar nicht. Dort die zweite, das könnte die der Freude sein. Gut. Wenn ich das so bedenke, sie könnte aber auch die Traurigkeit beinhalten. Also ich muss mich endlich mal entscheiden. Ich nehme einfach die grösste Schublade dort unten, fertig. Das ist die, in dem die alte Zeitung den Boden bedeckt. Ich lese auf diesem altersgebräunten Papier








Das steht also in der »Ostpommerschen Zeitung« in der Ausgabe des 28.Januar 1934. Ich staune. Da war die SPD noch eine Partei, die gegen die braunen Horden auftrat - auch wenn das nicht mehr viel nützte.

Da, die kleine Eckschublade ganz links ziehe ich ganz leise und behutsam heraus. Auch dort eine Papiereinlage auf dem Boden. Ein Bild in groben Rastern aus einer Zeitung, dann ein Text von 1934

. 


Soso, denke ich, es gab sie also auch in anderen Ländern, diese KLs. Ja, solch alte Schubladen bringen doch manches zutage, von dem man nichts wusste.

Noch einige Schubladen ziehe ich auf, manche leer, in einer eine alte Blechdose mit dem Aufdruck »Ich hab’s, URBIN!«. War damals die Schuhcrememarke in Deutschland.

Nachdenklich schaue ich mir das alte Möbelstück an. Wie viel persönliche Schicksale waren wohl schon mit ihm verknüpft, wer alles hat diese Schubfächer tausend und mehr Male geöffnet. Ich komme ins Grübeln, aber all das Denken bringt mich nicht weiter, weil mir die Verbindung zu den speziellen Menschen halt fehlt. So werde ich diesen alten Sekretär auch weiterhin als ein exotisches Stück Vergangenheit betrachten, der mir zwar einige Anhaltspunkte gab, dann jedoch nur noch ein wissendes Lächeln für mich übrig hatte!

2 Kommentare:

  1. ein schönes altes Möbelstück kann unendlich viele Geschichten erzählen, wer hinhört kann sie sehen und hören..
    wieviel Hände haben sorgsam darin etwas aufbewahrt, hineingelegt um es wiederzufinden und zu nutzen. Wie viele Gesichter hat es schon gesehen?
    Unglück - Glück, Trauer, Einsamkeit, wie Familien haben zugesehen wie es Plätze wechselte, Besitzer die es ihr Leben lang in Ehren hielten bis es jene nicht mehr gab.
    Ein neues ( ungebrauchtes " Möbelstück kann das alles nicht, nur dieses welches durch vielleicht viele Hände gewandert ist, der Duft der Vergangenheit umweht es, so ergeht es mir mit meiner Uroma Kirschbaumvitrine die ich seit ich 16 bin in Ehren halte...nicht missen mag. Und liebe...
    bin mir aber sehr bewusst wenn es mich nicht mehr gibt, dann gibt es auch diese alte Vitrine nicht mehr, was ich unendlich schade fände...
    deinen Schreibtisch mit all diesen wunderhübschen Schubladen kann du nun mit deiner Phantasie füllen...und dich daran laben...welche Möglichkeiten!!!!finde ich toll...
    herzlich angel

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    1. Diese Kommode ist leider auch nicht mehr vorhanden.
      Es ist schade, aber manchmal lassen sich "Erinnerungen und in die Zukunft schauen" nicht ganz vereinigen.
      Dann muss man halt Prioritäten setzen
      Er blieb zurück, als ich ging …

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Danke für die Interessante Anmerkung!

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